Der IWF fordert einen Haircut, die Euro-Finanzminister wollten gestern aber nur über Schuldenerleichterungen diskutieren. Auf die Bevölkerung warten weitere Sparpakete.
Brüssel/Athen. Für Alexis Tsipras und seinen Finanzminister, Euklid Tsakalotos, geht die griechische Schuldensaga in die nächste Runde. Das außerplanmäßige Treffen der Euro-Finanzminister am gestrigen Montag war zwar ein Fortschritt, ein definitiver Schlussstrich unter das seit sechs Jahren fortdauernde Gezerre um die Tragfähigkeit des bis über beide Ohren verschuldeten griechischen Staates lässt aber weiter auf sich warten. Er gehe davon aus, dass die Euro-Gruppe bei ihrem nächsten Treffen am 24. Mai die Causa Griechenland erneut debattieren werde, sagte Kommissionsvizepräsident Jyrki Katainen gestern. Nichtsdestotrotz habe Athen mit dem jüngsten Sparbeschluss einen „Schritt vorwärts“ gesetzt. Die Euro-Finanzminister diskutierten deshalb gestern über Schuldenerleichterungen für das Krisenland.
Die Staatsverschuldung Griechenlands macht derzeit rund 180 Prozent der Wirtschaftsleistung aus. Bedienen kann Athen diese Schulden nur mit frisch geliehenem Geld. Im Juli werden gut drei Milliarden Euro fällig, davon gehen zwei Drittel an die Europäische Zentralbank. Die EZB-Schulden sind besonders heikel: Kann Athen sie nicht bedienen, müsste die EZB die griechischen Banken von der Versorgung mit Euro abschneiden – Griechenland müsste dann eine eigene Währung einführen. Nach Ansicht des Internationalen Währungsfonds können die Griechen ihren Schuldenberg unmöglich abtragen – eine signifikante Entschuldung ist nach Ansicht von IWF-Chefin Christine Lagarde das Gebot der Stunde. Der Fonds hält das von der EU gesetzte Ziel, wonach Athen 2018 einen Primärüberschuss von dreieinhalb Prozent des BIPs erzielen soll, für unrealistisch und kalkuliert selbst mit einem Budgetüberschuss von eineinhalb Prozent für das übernächste Jahr. Der IWF kämpft dabei auf zwei Fronten: einerseits gegen die griechische Regierung, die weitere Sparmaßnahmen auf Vorrat ablehnt, weil sie sie für politisches Harakiri hält, andererseits gegen Deutschland, das den vom IWF geforderten Schuldenschnitt ablehnt, den Fonds aber als Mitglied des dritten, 86 Milliarden Euro schweren Hilfsprogramms an Bord behalten will.
Auch Euro-Gruppe-Chef Jeroen Dijsselbloem schloss einen Schuldenschnitt für Griechenland noch vor Beginn der gestrigen Sitzung definitiv aus: „Wir reden über Laufzeiten“, erklärte er.
Abfuhr für Tsipras
Einen Ausweg aus dieser vertrackten Lage zu finden, könnte demnächst zur Chefsache erklärt werden. Tsipras hatte bereits im April bei Ratspräsident Donald Tusk um einen Sondergipfel der Staats- und Regierungschefs der Eurozone angesucht, sich damals aber eine deutliche Abfuhr geholt: Noch seien die Finanzminister am Zug, sagte Tusk damals.
Noch Sonntagnacht hatte die griechische Regierung ein umfangreiches Sparpaket abgesegnet. Eine Großdemonstration vor dem Parlament verlief friedlich, bis eine Gruppe von Krawallmachern mit Molotowcocktails auftauchte. Die Polizei antwortete mit Tränengas. Aufhorchen ließ die Nachricht, dass sich unter 14 Verhafteten ein Österreicher befindet.
Am gestrigen Montag richteten sich auch in Athen alle Augen auf das Euro-Gruppe-Treffen in Brüssel. Tsipras hatte schon am Sonntag im Parlament von einem großen Erfolg gesprochen: Erstmals stehe die Diskussion über die griechischen Staatsschulden offiziell auf der Themenliste. Der Beginn dieser Diskussion könne zu einem Stimmungsumschwung im Land führen, die wirtschaftliche Abwärtsspirale beenden und den Startschuss für Investitionen im Land bedeuten. Bis dahin müssen aber noch weitere Hausaufgaben für die internationalen Gläubiger gemacht werden. Insgesamt, inklusive des am Sonntag beschlossenen Pakets, sind Maßnahmen in Höhe von etwa drei Prozent des Volumens der griechischen Volkswirtschaft gefordert, rund 5,4 Milliarden Euro.
Daher wird bereits in den nächsten Tagen ein neues Sparpaket seinen Weg ins Parlament nehmen – es behandelt vor allem Erhöhungen indirekter Steuern, wie etwa die geradezu irrwitzig anmutende Anhebung der Mehrwertsteuer auf 24 Prozent. Bekanntlich trifft gerade die Mehrwertsteuer arme und reiche Bevölkerungsschichten.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.05.2016)