Juniorpartner ÖVP in Doppelmühle

ÖVP-Beratungen am Tag eins nach dem Abgang von Bundeskanzler Werner Faymann: Klubobmann Reinhold Lopatka und Parteichef Reinhold Mitterlehner (von links) vor Beginn des ÖVP-Bundesvorstands in Salzburg.
ÖVP-Beratungen am Tag eins nach dem Abgang von Bundeskanzler Werner Faymann: Klubobmann Reinhold Lopatka und Parteichef Reinhold Mitterlehner (von links) vor Beginn des ÖVP-Bundesvorstands in Salzburg.(c) APA/BARBARA GINDL
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Mitterlehner steckt in der Koalition mit der SPÖ fest, das erhöht die ÖVP-Ängste. Es fehlt eine Mehrheit für Schwarz-Blau, Neuwahlen wären hochriskant. Vorerst soll daher ein neuer Koalitionspakt her.

Wien/Salzburg. Diese Situation kommt langgedienten Spitzenpolitikern der ÖVP bekannt vor. Viele halten es nur noch mit zugehaltener Nase als Juniorpartner in der rot-schwarzen Koalition aus. Selbst für eine stille Duldung einer schwarzen Minderheitsregierung durch Heinz-Christian Straches FPÖ reicht jedoch die Stärke von Schwarz und Blau im Nationalrat nicht aus. Bei Neuwahlen droht ein Abrutschen hinter die FPÖ.

ÖVP-Obmann Reinhold Mitterlehner, der nach dem Rücktritt von Bundeskanzler Werner Faymann mit der Führung der Amtsgeschäfte betraut worden war, ging daher gestern nach der Sitzung des ÖVP-Bundesparteivorstands am Dienstagnachmittag in Salzburg in die Offensive: Er möchte dem neuen SPÖ-Chef, der bis spätestens kommenden Dienstag feststehen soll, Bedingungen für die Zusammenarbeit stellen. Mögliche Szenarien offenbaren ein strategisches Problem für die Volkspartei.

1. Keine Mehrheit für einen fliegenden Wechsel zu Schwarz-Blau und eine FPÖ-Duldung.

Die SPÖ bereitet ÖVP-Politikern extreme Kopfschmerzen. Die Flucht aus der rot-schwarzen Regierung bei einem neuen SPÖ-Vorsitzenden ist praktisch nicht möglich, weil ÖVP (50) und FPÖ (39) für eine Mehrheit im Nationalrat zumindest die Hilfe des Teams Stronach (fünf Abgeordnete) brauchten, um auf die notwendigen 93 Mandate im Parlament zu kommen. Damit fehlt für einen fliegenden Wechsel zu Schwarz-Blau, dem FPÖ-Obmann Strache gar nicht zustimmen würde, eine fixe Basis. In der ÖVP überlegen manche, so ist zu hören, ein Stillhalteabkommen bei einer schwarzen Minderheitsregierung mit FPÖ-Duldung bis zur nächsten Nationalratswahl 2018, samt Abmachung für Schwarz-Blau oder Blau-Schwarz danach. ÖVP-Klubchef Reinhold Lopatka winkt mit Hinweis auf die Mehrheitsverhältnisse ab: „Es ist einfach absurd.“ Unter dem amtierenden Bundespräsidenten Heinz Fischer ist eine derartige Variante noch einen Tick unrealistischer. Ob FPÖ-Kandidat Norbert Hofer tatsächlich Bundespräsident wird und dies zulässt, wird erst am 22. Mai endgültig feststehen. Der neue Bundespräsident wird dann erst ab dem 8. Juli 2016 im Amt sein.

2. Neuwahlen wollen weder SPÖ noch ÖVP, auch wenn sie sich das gegenseitig vorhalten.

Rot wie Schwarz droht bei vorzeitigen Neuwahlen auf Bundesebene nach dem Abschied von Werner Faymann und wegen der breiten Unzufriedenheit der Bevölkerung eine Wahlschlappe. Daran hat keiner Interesse. Dennoch bezichtigen einander die rot-schwarzen Regierungspartner gegenseitig, Neuwahlen anzupeilen. Vorarlbergs Landeshauptmann, Markus Wallner, schätzt die Gefahr/Chance von Neuwahlen mit 50 zu 50 ein. Gleichzeitig versichern jedoch Vertreter beider Koalitionsparteien naturgemäß, man habe keine Angst vor Neuwahlen.

3. Mitterlehners Vorwärtsstrategie soll signalisieren, dass die ÖVP das Heft in der Hand hat.

Mitterlehner, der am Dienstag den Ministerrat leitete, ging zu einer Vorwärtsstrategie über. Er stellte mit Rückendeckung der Parteigranden dem künftigen SPÖ-Vorsitzenden ÖVP-Bedingungen für eine Fortsetzung von Rot-Schwarz. Dieses ÖVP-Wunschprogramm für einen neuen, überarbeiteten Regierungspakt umfasst drei Punkte (siehe S. 3). Details wurden bei der Sitzung des ÖVP-Bundesparteivorstands, der ausnahmsweise wegen der bevorstehenden Tagung der Landeshauptleute in Salzburg zusammentraf, festgelegt. Vor weiteren Entscheidungen wird dann abgewartet, wer nun tatsächlich in der SPÖ das Rennen um Parteivorsitz und Kanzlerschaft macht und damit die Faymann-Nachfolge antritt.

4. Es herrscht Angst, die ÖVP werde als Juniorpartner mit neuem SPÖ-Kanzler aufgerieben.

Mitterlehners ÖVP ist damit in einer schwierigen Lage. Schwarze Politiker befürchten, sollte es nach der Klärung des SPÖ-Vorsitzes in Umfragen aufwärtsgehen, werde davon in erster Linie die Kanzlerpartei profitieren und dies dem neuen roten Regierungschef zugeschrieben. Verfällt die rot-schwarze Regierung bald in ihren alten Trott mit Dauerreibereien, nützt das erst recht wieder der FPÖ. Vorerst scharen sich die ÖVP-Landeschefs hinter Bundesobmann Mitterlehner. Hoffnungsträger Außenminister Sebastian Kurz soll nicht vorzeitig verheizt werden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.05.2016)

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