Griechenland: Geldgeber müssen Athen entlasten

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Der „Presse“ liegt eine Analyse der Tragfähigkeit griechischer Schulden vor. Die Troika kommt auch nach Ansicht des ESM an einer Streckung nicht vorbei.

Brüssel/Straßburg. Zwei Wochen Zeit bleiben den Finanzministern der Eurozone, um sich mit der griechischen Regierung auf ein tragfähiges Programm zur Sanierung des griechischen Haushalts und zum Abbau des Schuldenbergs von derzeit rund 180 Prozent des BIPs zu einigen. Beim nächsten planmäßigen Treffen der Euro-Gruppe sollen alle offenen Fragen beantwortet werden, hieß es Montagnacht nach Ende der jüngsten Beratungen in Brüssel. Dass es neben den bekannten offenen Fragen (etwa zu Art und Umfang etwaiger Sparprogramme) weitere unbekannte Variablen gibt, beweist ein Blick in jene Unterlagen, die den Finanzministern als Diskussionsgrundlage dienen – und die der „Presse“ vorliegen. Demnach basiert die Debatte, die derzeit über die Schulden Griechenlands geführt wird, auf optimistischen Grundannahmen.

Die am Montag präsentierte Analyse der Tragfähigkeit der griechischen Schulden enthält vier Szenarien – zwei mehr und zwei weniger zuversichtliche. Allerdings weichen auch die zwei optimistischen Varianten nicht von der Grundannahme ab, Griechenland werde im Jahr 2018 einen primären Budgetüberschuss von 3,5 Prozent des BIPs erzielen – der Internationale Währungsfonds, der seine Teilnahme am dritten Hilfsprogramm für Griechenland von einer signifikanten Reduktion der griechischen Schuldenlast abhängig macht, ist diesbezüglich weniger zuversichtlich und kalkuliert mit einem Plus von lediglich eineinhalb BIP-Prozent.

Schuldenschnitt bleibt tabu

Es geht also noch pessimistischer. In der düstersten der vier erörterten Varianten geht die Schuldenlast bis zum Jahr 2030 zwar deutlich zurück, steigt dann aber ebenso rapide an und erreicht im Jahr 2060 knapp 260 Prozent des BIPs. Berechnungsgrundlage dafür ist übrigens ein durchschnittliches Wirtschaftswachstum von 1,3 Prozent – was für das heutige Griechenland ohnehin ambitioniert ist. Damit der Schuldenstand, wie im optimistischen Szenario avisiert, bis 2060 auf knapp 63 Prozent des BIPs zurückgeht, müsste die Wirtschaft um eineinhalb Prozent wachsen. Was also tun mit Griechenland? Nach Ansicht des europäischen Rettungsschirms ESM, der am Montag ebenfalls einen analytischen Baustein beigesteuert hat, kommt die Troika der internationalen Geldgeber an einer Entlastung Athens nicht vorbei. Die Experten des ESM haben eine Modellrechnung erstellt, wie die griechische Zahlungsfähigkeit in einem einigermaßen günstigen Wirtschaftsklima gewährleistet werden kann: Notwendig seien eine Streckung der Kreditlaufzeit um durchschnittlich fünf Jahre, die Deckelung des Schuldendiensts bei maximal 1,0 Prozent des BIPs sowie eine Kreditzinsenobergrenze von zwei Prozent bis zum Jahr 2050. Soll heißen: Selbst bei der günstigen Variante kommen die Geldgeber Griechenlands nicht an einer Streckung der griechischen Schulden vorbei. „Ungünstigere Szenarien würden weiter reichende Maßnahmen erfordern“, heißt es in der Analyse – etwa die Rückzahlung der IWF-Kredite mit (billigerem) ESM-Geld. Von einem Schuldenschnitt will man in Brüssel nach wie vor nichts wissen. (la)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.05.2016)

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