Cannes betet wieder zu den Göttern des Kinos

Actress Blake Lively jokes with director Woody Allen and actress Kristen Stewart as they pose during a photocall for the film 'Cafe Society' out of competition before the opening of the 69th Cannes Film Festival in Cannes
Actress Blake Lively jokes with director Woody Allen and actress Kristen Stewart as they pose during a photocall for the film 'Cafe Society' out of competition before the opening of the 69th Cannes Film Festival in CannesREUTERS
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Neue Impulse sucht man anderswo − bei den 69. Filmfestspielen an der Côte d'Azur stehen etablierte Stars im Mittelpunkt. Etwa Woody Allen, mit dessen Nostalgiefilm „Café Society“ das Festival eröffnet wurde.

Der rote Teppich vor dem Palais des Festivals ist ausgerollt: Die Filmwelt blickt wieder nach Südfrankreich, wo am Mittwoch die 69. Cannes-Filmfestspiele ihre Eröffnung feierten. Cannes ist eine Demokratie – zumindest auf dem Papier. Bei der Programmverkündung am 14. April sprach Festivaldirektor Thierry Frémaux stolz von der Offenheit der prestigeträchtigen Veranstaltung: Weltweit stehe es jedem frei, Filme einzureichen, es gebe keine ausgrenzenden Grundvoraussetzungen für eine Teilnahme. Über 1800 Beiträge habe man sich angesehen, um die finalen 52 Titel der offiziellen Selektion zusammenzustellen. Doch ein Blick auf die Hauptsektion genügt, um sich zu vergewissern: Das Kino-Event an der Côte d'Azur ist und bleibt eine aristokratische Angelegenheit.

Unter den 21 Konkurrenten im Rennen um die Goldene Palme finden sich vorwiegend etablierte Namen, darunter gleich drei ehemalige Preisträger: Cristian Mungiu, Ken Loach und die Dardenne-Brüder. Anderswo sucht man nach neuen Impulsen, hier wird zu den Göttern des Kino-Olymps gebetet. Cannes fährt ausgesprochen gut mit dieser elitären Strategie. Der privilegierte Status der Veranstaltung als A-Festival-Überflieger, Markt und Marketingmekka wird nämlich zusehends monolithischer – Berlin und Venedig fällt es jedes Jahr schwerer, die Hautevolee der Filmkultur anzulocken, während es hier die Stars vom Himmel regnet. Glamouröse Hollywood-Premieren außer Konkurrenz (Jodie Fosters „Money Monster“, Shane Blacks „The Nice Guys“) bescheren dem Festival heuer Gäste wie George Clooney, Julia Roberts, Ryan Gosling und Russell Crowe. Der Wettbewerb wartet unter anderem mit Auftritten von Charlize Theron, Marion Cotillard und Isabelle Huppert auf. Sogar Iggy Pop wird sich blicken lassen: für eine Sondervorführung von „Gimme Danger“, Jim Jarmuschs neuer Doku über die Rock-Ikone.

Dennoch hängt diesmal ein Schatten über dem Küstenort – nicht nur aufgrund des trüben Wetters: Nach den Anschlägen in Brüssel und Paris herrscht in Frankreich Alarmstufe Rot, und Cannes ist keine Ausnahme. Schon im letzten Jahr wurden die Sicherheitsvorkehrungen hochgeschraubt, doch heuer – nach Berichten italienischer Behörden, der Islamische Staat plane Attentate im französischen Küstengebiet – ist die Lage noch angespannter. Das Wachpersonal wurde aufgestockt, im April wurde auf den Stufen des Festivalzentrums ein Terrorangriff simuliert, und am Dienstagnachmittag ließ man das Palais im Zuge eines Drills evakuieren – gleich zweimal hintereinander.

Woody Allen zur Beruhigung

Woody Allen nimmt's gelassen. „In Sachen Terror bin ich ohnehin Hypochonder“, witzelte er in „Variety“. Sein neuer Film, „Café Society“, läutete gestern außer Konkurrenz das Festival ein – es ist bereits das dritte Mal, dass eine Arbeit des 80-jährigen Routiniers hier eröffnet, und man könnte fast meinen, sie wäre zur bewussten Besucherberuhigung programmiert worden. Statt sich mit harschen politischen Realitäten aufzuhalten, lädt sie, wie schon „Midnight in Paris“, ein zum wohligen Eintauchen in eine jazzig klimpernde, glamouröse Nostalgiewelt – diesmal die der 1930er-Jahre. Jesse Eisenberg spielt Bobby, einen jüdischen Jungspund aus dem New Yorker Mittelstand, der nach Hollywood zieht, wo sein Onkel Phil (Steve Carell) eine erfolgreiche Schauspielagentur leitet. Dieser verschafft ihm eine Anstellung und führt ihn ein in die gute Gesellschaft – doch sein Neffe hat nur Augen für Vonnie, Phils intelligente und überraschend bodenständige Sekretärin (Kristen Stewart). Auch sie ist von ihm angetan, steckt aber schon in einer heimlichen Affäre mit ihrem Vorgesetzten.

Im Grunde könnte „Café Society“ auch in Cannes spielen: Das entspannte Drama imaginiert eine sorgenfreie Paralleldimension, in der schön ausstaffierte Menschen auf Cocktailpartys in den Gärten prachtvoller Villen schäkern, tändeln und genüsslich die Zeit totschlagen. Allen schwelgt ausgiebig in dieser Welt, die von Kameralegende Vittorio Storaro („Apocalypse Now“) in honiggelb glänzendes Licht getaucht wird. Der Dialog ist voller Anspielungen auf damalige Traumfabrik-Größen, ins Bild kommen sie nie – die Handlung fokussiert eher auf die Entwicklung der Dreiecksbeziehung. Besonders die Chemie zwischen Stewart und Eisenberg, die hier bereits zum dritten Mal zusammen vor der Kamera stehen, überzeugt: Selten hat man die sonst eher unterkühlten Jungdarsteller so charmant gesehen wie hier.

Letztlich entscheidet sich Vonnie für den älteren Phil, und Bobby geht wieder nach Manhattan, wo er schnell zum Leiter eines hippen Nachtclubs seines Gangster-Bruders avanciert (noch ein Grund, durch schicke Retro-Kulissen zu schwenken). Bei der Cannes-Pressekonferenz erklärte Allen, ihm sei ein romanhafter Tonfall vorgeschwebt, die Erzählerstimme sprach er selbst ein – doch sein bevorzugtes 90-Minuten-Format sperrt sich gegen die angestrebte Tragweite. So bleibt „Café Society“ trotz expansivem Zeitrahmen ein (nicht unsympathischer) Plätscherfilm. Bleibt zu hoffen, dass der Wettbewerb höhere Wellen schlägt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.05.2016)

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