Ukraine: Journalisten als "Terror"-Kollaborateure verunglimpft

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Eine "patriotische" Website veröffentlicht Daten internationaler Journalisten, die aus dem Separatistengebiet berichtet haben - darunter auch "Die Presse". Experten sprechen von einer "alarmierenden Entwicklung".

Es ist eine weitere Eskalation im Informationskrieg zwischen Ukraine und den von Russland unterstützten ostukrainischen Separatisten: Die ukrainische Website „Mirotworets“ („Friedensstifter“) hat die Namen und Kontaktdaten von Journalisten veröffentlicht, die beschuldigt werden, mit den Behörden der abtrünnigen Gebiete kooperiert zu haben.

Unter dem Dateinamen „Schurken“ veröffentlichte die Seite am Mittwoch eine offenbar von den Donezker Behörden gehackte Datei, in der sich mehr als 7000 Einträge aus den Jahren 2014/15 befinden: Namen, Telefonnummern, Emails und Aufenthaltsdaten von ukrainischen und ausländischen Journalisten – neben Medien wie BBC, CNN, ZDF und New York Times sind auch der ORF-Korrespondent in Kiew, Christian Wehrschütz, und eine „Presse“-Journalistin betroffen.

Mirotworets unterstellt den Journalisten ein Naheverhältnis zu den „Terrororganisationen“, da die Medienvertreter eine Arbeitserlaubnis in der Donezker Volksrepublik (DNR) erhalten haben. Kiew befindet sich seit Frühsommer 2014 in einem bewaffneten Konflikt mit den ostukrainischen Separatisten; obwohl die Kämpfe in den letzten Tagen wieder abgeflaut sind, ist eine politische Lösung weiter nicht in Sicht.

Akkreditierung als Grundlage

Die Akkreditierung ist eine notwendige Grundlage für die journalistische Arbeit in den beiden abtrünnigen Republiken und sagt nichts über die inhaltliche Ausrichtung der Berichterstattung aus. Ohne Arbeitserlaubnis ist journalistische Arbeit im ostukrainischen Konfliktgebiet nur unter großem persönlichen Risiko möglich; von einer Inhaftnahme durch die de-facto-Behörden bis hin zu Deportation und Einreiseverbot reichen die möglichen Konsequenzen. Da ukrainische Medienvertreter kaum mehr Zugang in die DNR erhalten, gehören ausländische Berichte neben Social Media-Einträgen der lokalen Bevölkerung zu den wenigen direkten Informationsquellen.

Mirotworets ist eine anonymes Internetprojekt, das sich selbst als „patriotisch“ versteht und dem Vernehmen nach über gute Verbindungen in Sicherheitskreise verfügt. Bereits in der Vergangenheit Aufsehen hat es mit der Publikation von persönlichen Daten separatistischer Kämpfer und vermeintlicher Staatsfeinde erregt. So war etwa der im April 2015 in Kiew erschossene Publizist Oles Busina auch zuvor von Mirotworets gebrandmarkt worden.

In der Darstellung von Mirotworets hätten die Medienvertreter mit der DNR kollaboriert – ein Vorwurf, den Betroffene in einer Petition von sich weisen: „Akkreditierung bedeutet nicht die Zusammenarbeit eines Journalisten mit irgendeiner Konfliktpartei, es ist eine Form der Sicherheit und des Schutzes für den Journalisten.“ Die Unterzeichnenden orten einen Verstoß gegen den Datenschutz und fordern die Behörden auf, gegen die Veröffentlichung vorzugehen. Die Staatsanwaltschaft ermittelt bereits in dem Fall.

Lob für "patriotische Hacker"

Auch Dunja Mijatovic, OSZE-Beauftragte für die Medienfreiheit, verurteilte das Datenleak. Sie sprach von einer „alarmierenden Entwicklung, die die Sicherheitslage für Journalisten weiter bedrohen“ könnte. „Journalisten berichten über Themen von öffentlichem Interesse und sollten nicht schikaniert werden, wenn sie ihre Arbeit erledigen.“

Doch in der Ukraine, die sich im Informationskrieg gegen Russland im Nachteil sieht, fand man auch Verständnis für die Veröffentlichung. So rühmte etwa der Volksfront-Abgeordnete Anton Geraschenko die „patriotischen Hacker“, mahnte Medienvertreter zu Patriotismus und drohte mit der Ausweisung von Journalisten, sollten sie gegen die Gesetze der Ukraine verstoßen. Geraschenko hatte die Veröffentlichung auf seinem Facebook-Profil vorher angekündigt. Zusammen mit den Akkreditierungsdaten waren auch die Kontakte von Mitarbeitern des Donezker Informationsministeriums ins Netz gestellt worden.

Journalisten verstoßen bei einer Reise ins Konfliktgebiet nicht gegen ukrainisches Recht, solange sie nicht einen illegalen Grenzübertritt über Russland in das abtrünnige Gebiet unternehmen. Reporter oder internationale Besucher, die das getan haben, werden gewöhnlich mit einem Einreiseverbot belegt.

Journalismus im Visier

Die Regierung in Kiew hat den Journalismus ins Visier genommen: Eine größere Zahl russischer Medienvertreter wurden in der Vergangenheit wegen Falschberichten mit einem Arbeitsverbot belegt. Die Ausstrahlung mehrerer russischer Kanäle wurden verboten. Zuletzt wurde rund um den zweiten Jahrestag der Brandtragödie von Odessa Anfang Mai ein deutscher Journalist wegen illegalen Grenzübertritts nicht ins Land gelassen.

Das „DNR-Leak“ und die widersprüchlichen Reaktionen illustrieren die Schwierigkeiten der Ukraine, eine politische Linie zu finden, die einerseits Pressefreiheit garantiert und andererseits in Einzelfällen ein Vorgehen gegen Falschinformationen und Hate Speech rechtfertigt.

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