Gerhard Zeiler: "Das ist die letzte Chance für die SPÖ"

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Zeiler APA/BARBARA GINDL
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Der Ex-ORF-Chef – bis zuletzt als Kanzlerkandidat und SPÖ-Vorsitzender im Gespräch – beschreibt den Deal zwischen ihm und Christian Kern.

Die Presse: Sind Sie enttäuscht, doch nicht SPÖ-Chef und Bundeskanzler geworden zu sein?

Gerhard Zeiler: Bin ich überhaupt nicht, sondern sehr froh, vor einem Jahr mit einem Zeitungsinterview eine Debatte über die personelle und inhaltliche Erneuerung der SPÖ ausgelöst zu haben. Da ist etwas in Gang gekommen, das sich nicht mehr stoppen ließ. In den vergangenen Monaten standen Christian Kern und ich in engem Kontakt. Es gab die Vereinbarung zwischen uns, im Fall des Falles den jeweils anderen zu unterstützen. Das war eine klare Rollenverteilung.


Vor ziemlich genau einer Woche hat Christian Kern tatsächlich gesagt, er würde Sie unterstützen. Was hat sich seither verändert?

Zu diesem Zeitpunkt hatte Werner Faymann signalisiert, er würde beim Parteitag noch einmal als Kandidat antreten. Dann wäre ich sein Gegenkandidat geworden. Doch nun ist das nicht mehr notwendig, Faymann ist gegangen. Das war der wichtigste Schritt. Damit habe ich erreicht, was ich wollte.

Ihr Rolle wäre also die der direkten Konfrontation gewesen?

Ich bin älter und durch meinen internationalen Beruf freier, ich kann und konnte daher Dinge sagen und tun, die anderen hier in Österreich nicht so leicht fallen. Jetzt haben Christian Kern und sein Team meine volle Unterstützung. Egal, was Christian Kern braucht, falls er etwas braucht – er wird es von mir bekommen – Beratung, meine Sicht und auch die ungeschminkte Wahrheit. Das ist ein sehr entscheidender Moment für Österreich und es ist die letzte Chance für die SPÖ und für die Regierung aus den beiden Parteien. Ich hoffe sehr, dass auch in der ÖVP die Leute das Ruder übernehmen, die Veränderungen und Reformen wollen. Das brauchen wir nämlich.

Was für Reformen halten Sie denn für besonders dringlich?

Das Wichtigste ist, das Land wirtschaftspolitisch wieder nach vorne zu bringen. Es gilt die alte Doktrin aus Kreisky-Zeiten: Die Kühe, die man melken will, brauchen Futter. Die Regierung sollte mit Unternehmen und Industrie einen Deal machen: Wir helfen euch und erleichtern eure Arbeit, ihr schafft dafür Arbeitsplätze in Österreich. Das ist das Wichtigste. Österreich braucht dringend Investitionen der Wirtschaft.


Und Reformen beim Thema Bildung, nehme ich an.

Genau. In ganz Europa gibt es Ganztagesschulen, nur in Österreich gehen die Kinder zu Mittag nach Hause. Wer in Wien in manchen Bezirken gute Nachmittagsbetreuung will, schickt seine Kinder in eine katholische Privatschule. Wenn alle Schulen zu Ganztagesschulen umgebaut werden, schafft das auch Arbeitsplätze. Ganztägiger Unterricht ist, verbunden mit einem zweiten verpflichtenden Kindergartenjahr, auch die beste Integrationsmaßnahme für Kinder und Jugendliche, deren Muttersprache nicht Deutsch ist.

Soll die SPÖ Änderungen in der Flüchtlingspolitik vornehmen?

Es kann weder eine Politik der offenen Grenzen geben, noch eine der geschlossenen. Wir müssen Asyl anbieten, aber vor allem dafür sorgen, dass die Menschen, die schon da sind und noch kommen, gute Deutschkurse, Arbeit und Heim finden. Ohne einen Marshallplan für Afrika und den Mittleren Osten wird das alles nicht zu machen sein. In Afrika sind 50 Millionen Menschen von Hunger und Tod bedroht. Was werden diese Menschen tun? Die werden sich in Richtung Norden bewegen, um zu überleben. Wir müssen als Europäische Union Verbesserungen herbeiführen. Und das müssen wir dort finanzieren.

Zurück nach Österreich: Was erwarten Sie sich von der ÖVP?

Auch dort muss Veränderungswillen signalisiert werden. Wie bisher geht es nicht weiter. Es ist die letzte Chance für SPÖ und auch der ÖVP. Das müssen alle kapieren.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.05.2016)

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