Christian Kern: Ein Pragmatiker mit Linksdrall

Ein neuer Stil im Kanzleramt – nicht nur modisch: Christian Kern, Manager mit Wurzeln in Wien Simmering, übernimmt die vormalige Arbeiterpartei  SPÖ.
Ein neuer Stil im Kanzleramt – nicht nur modisch: Christian Kern, Manager mit Wurzeln in Wien Simmering, übernimmt die vormalige Arbeiterpartei SPÖ.(c) APA/HANS KLAUS TECHT
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Christian Kern (50) wird der neunte SPÖ-Vorsitzende und dreizehnte Bundeskanzler der Zweiten Republik. Wer ist er? Und wo will er hin?

Erster Mai 2016: Christian Kern, der ÖBB-Chef, steht unten beim Fußvolk eher am Rande des Rathausplatzes. Er wirkt nachdenklich, fast ein wenig bedrückt ob der Stimmung. Wenige Minuten zuvor ist Werner Faymann ausgepfiffen worden, Linke und Rechte unter den Genossen stehen sich zum Teil aggressiv gegenüber. Kern sinniert über das historische Mandat der Sozialdemokratie, ob dieses aufgebraucht oder noch mit Leben zu erfüllen sei.
Am 1. Mai 2017 wird er aller Voraussicht nach oben auf der Bühne stehen. Ganz vorn. Seit gestern ist es fix: Christian Kern wird Vorsitzender der SPÖ und Bundeskanzler.

Wer ist der Mann, der nun der größten Partei des Landes und der Regierung vorsteht – ohne zuvor ein politisches Mandat gehabt zu haben? Der als Manager eines staatsnahen Betriebs Erinnerungen an Franz Vranitzky weckt. Dessen Charakterisierung in den Medien nicht ohne den Hinweis auf teure, perfekt sitzende Anzüge und akkurates Styling auskommt.

Christian Kern (50) wuchs in Wien Simmering auf, der Vater Elektriker, die Mutter Sekretärin. Die Familie war nicht wirklich politisch. Er selbst jedoch wurde das recht bald. Über eine grün angehauchte Alternative Liste fand er zur Sozialdemokratie. Er engagierte sich im VSStÖ und heuerte nach Abschluss des Publizistikstudiums und einer kurzen Zeit als Wirtschaftsjournalist als Sprecher bei Peter Kostelka an, damals Staatssekretär im Bundeskanzleramt, später SPÖ-Klubchef im Parlament. 1997 wechselte er zum Verbund, wo er sich im Lauf der Jahre zum Vorstand hocharbeitete. Seit 2010 ist er Vorstandsvorsitzender der ÖBB-Holding.

Er hat drei Söhne aus erster Ehe mit einer SPÖ-Kommunalpolitikerin und Anwältin – beim ersten Kind war er eine Zeit lang alleinerziehend. Und in zweiter Ehe hat er eine Tochter mit der früheren Siemens-Managerin Eveline Steinberger-Kern, die heute selbstständige Unternehmensberaterin ist.

Personell ein linkerer Kurs

Die ersten durchgesickerten Personalentscheidungen deuten darauf hin – teure Anzüge hin, akkurates Styling her –, dass Kern einen eher linkeren Kurs fahren will. Mit Sonja Wehsely und Jörg Leichtfried sollen zwei Exponenten des linken Flügels Minister werden. Schon während der Flüchtlingskrise ist Kern, dessen ÖBB Transport und Verpflegung der Flüchtlinge unbürokratisch in die Hand genommen haben, zum Helden der „Refugees welcome“-Gemeinde geworden.

Die darüber hinausgehende (Neu-)Ausrichtung der Partei kann man nur erahnen: Christian Kern hat auf jeden Fall einen besseren Zugang zur Welt der Unternehmer und Industriellen, als ihn Werner Faymann hatte. Ein Klassenkämpfer in der Löwelstraße ist allerdings nicht zu erwarten. Sondern eher die Umsetzung der alten Anton-Benya-Diktion, dass man eine Kuh, die man melken wolle, nicht schlachten dürfe.

Christian Kern, der stets höfliche Wiener mit der sonoren Stimme und einem Faible für Brit-Pop/-Rock, wird der elfte Vorsitzende der Sozialdemokratischen Partei seit Victor Adler. Er spricht ähnlich langsam wie Alfred Gusenbauer – und auch Bruno Kreisky. Im Gegensatz zu diesen kommt er allerdings als Quereinsteiger ins Amt. Und das gab es bisher noch nie. Selbst der vormalige Länderbank-Generaldirektor Franz Vranitzky war Finanzminister gewesen, ehe er Bundeskanzler wurde. Wie Kern sammelte allerdings auch er seine ersten Erfahrungen als politischer Sekretär in einem SPÖ-Kabinett.

Christian Kern hat nun die breitest mögliche Unterstützung in der SPÖ erhalten. Alle Landesparteien, letztlich auch jene von Wien, sprachen sich für ihn aus. Wie lang die Anfangseuphorie anhält, wird sich zeigen. Es spricht aber einiges dafür, dass Kern, seit Langem Wunschkandidat vieler, sich leichter tun wird als seine Vorgänger. Er hat mehr soziale Intelligenz als Alfred Gusenbauer, ohne dass es so anbiedernd wie bei Werner Faymann wirken würde.

Und da die SPÖ ohnehin keine echte Arbeiterpartei mehr ist, sondern eher eine des Mittelstands, ist auch ein Manager als Parteichef nicht wirklich abwegig. Kern ist ein Vorsitzender auf der Höhe der Zeit, vertraut mit den ökonomischen und technologischen Anforderungen. Die Frage ist freilich, wie viel Spielraum ihm seine eigenen Genossen aus der noch immer etwas verstaubt anmutenden SPÖ lassen werden, jene aus den Gewerkschaften, aus den Ländern, aus der Stadt Wien mit ihren Flügelkämpfen.

Die ÖBB führte Christian Kern unideologisch und pragmatisch, verpasste ihr ein – halbwegs – modernes Image. Über seinen Arbeitsstil sagte er einmal im Magazin „Datum“: „Cholerische Anfälle verachte ich zutiefst.“ Man darf gespannt sein, ob ihm diese in der SPÖ und der rot-schwarzen Bundesregierung erspart bleiben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.05.2016)

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