Die Suspendierung der Präsidentin diskreditiert die politische Klasse.
Ordem e Progresso“, so lautet das Motto, das sich über Brasiliens Fahne zieht. Von Ordnung und Fortschritt kann im Land zwischen Amazonas und den Iguazú-Fällen indes schon längst keine Rede mehr sein, eher von Chaos und wirtschaftlicher Depression, von Korruption in großem Stil und politischem Kleinkrieg.
Nach den Boomjahren rutschten die Eckdaten ab, und Präsidentin Dilma Rousseff trägt als Regierungschefin die Hauptverantwortung für die Misere und die hohe Rezession. Sie agierte glücklos und ungeschickt. Als sie Vorgänger und Mentor Lula ins Kabinett holen wollte, offenbarte sie ihre Ratlosigkeit.
All dies rechtfertigt allerdings nicht ein unwürdiges Spektakel wie ein Amtsenthebungsverfahren aus eher nichtigen Gründen, das vorerst in einer halbjährigen Suspendierung Rousseffs mündet. Sie ist bis Ende 2018 gewählt und spricht daher mit einigem Recht von einem Staatsstreich auf parlamentarisch-legaler Ebene.
Diskreditiert ist mithin die gesamte politische Klasse, nicht zuletzt Vizepräsident Michel Temer. Der Strippenzieher, der interimistisch nun die Agenden führt, hat schon vor Wochen seine Antrittsrede einstudiert. Er wird am 5. August die Olympischen Spiele eröffnen, und dies wird wohl der einzige Höhepunkt seines Intermezzos bleiben. Am Schlamassel tragen er und seine Parteifreunde als langjährige Koalitionspartner von Rousseffs Arbeiterpartei Mitschuld.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.05.2016)