Salzburger Festspiele: Kopflos wie Holofernes

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Regisseur Sebastian Nüblings „Judith“ auf der Perner Insel in Hallein verzettelt sich zwischen bildungsbürgerlicher Kunst und Zeitgeist-Einlagen.


Der assyrische Feldherr Holofernes, König Nebukadnezars Mann fürs Grobe, will auf seinem Welteroberungsfeldzug zu biblischer Zeit die belagerten, widerspenstigen Hebräer zur Aufgabe zwingen, indem er ihnen die lebensnotwendige Wasserleitung abgräbt. Der Mangel ist eine effektvolle Taktik der Kriegsführung. Regisseur Sebastian Nübling hingegen hat bei den Salzburger Festspielen eine konträre Methode angewandt. Er überschwemmt bei der Premiere seiner „Judith“ am Montag auf der Perner Insel in Hallein die Zuseher mit Überfluss. Am Ende aber liegt so mancher Betrachter nach drei Stunden Gesamtkunstwerk ebenfalls kopflos wie Holofernes da. Denn diese Show war genial und dilettantisch, schön und gewöhnlich, witzig und platt zugleich. Man kann nicht wirklich behaupten, dass Nübling diese Schlacht gewonnen hat. Aber er hat es wenigstens mit allen Mitteln versucht.


Das postmoderne Setting: Gleich drei Judith-Figuren machen sich auf, um mindestens eine Handvoll Holofernes-Darsteller zu betören und dann zu enthaupten. Es wird deklamiert, musiziert und getanzt, für Bildungsbürger gibt es am Ende sogar Scharaden nach barocken Schinken, zuvor komplexe Arien in Latein. Die Bausteine sind die apokryphe Judith des Alten Testaments, Antonio Vivaldis (1678–1741) „Juditha triumphans“ und Friedrich Hebbels (1813–1863) Drama „Judith“. Als wäre das nicht genug, hat Performerin Anne Tismer das Geschehen mit frechen, leider auch viel zu simplen Girlie-Texten versehen, und der Komponist Lars Wittershagen hat die alte Musik mit Eigenem aufgepeppt. Gerade wenn Vivaldi interessant zu werden droht, fährt eine Combo mit Jazz oder Rapp dazwischen. Der musikalische Leiter Lutz Rademacher hat alle Hände voll zu tun, sein barockes Ensemble mit den Neutönern in Einklang zu bringen. Mitunter war das richtig schön.

Zeitgeistige Wortfetzen zwischen Hebbel


Was aber läuft eigentlich ab? Wenig Hebbel. Für den ist Stephanie Schönfeld als klassische Judith zuständig. Ihr gelingt, diese Einsprengsel überzeugend darzustellen. Das muss schwer sein, denn kaum hat man sich an einen echten Hebbel-Satz gewöhnt, fährt Tismer mit zeitgeistigen Wortfetzen dazwischen. Die Interferenz gelingt zuweilen, oft aber sind die abgefuckten Phrasen echt peinlich. Mann, Nübling! Diese überspannten Tussen gehen einem mit der Zeit echt auf den Keks.

Eine wunderbare Viola d'amore hallt noch nach, schon muss man sich damit beschäftigen, dass eine Leistungsturnerin erklärt, wer gerade welche ihrer Körperöffnungen benutzt. Dann wird geflennt über die Schlechtigkeit der globalisierten Welt, über den Wirtschaftsfaktor Wasser. Ganz was Neues, aber was hat es mit Judith zu tun? Vielleicht soll der rätselhafte Benjamin-Spruch erfüllt werden, den Judith mittendrin mit Wasser an die Wand malt: „Die Produktion der Leiche ist, vom Tode her betrachtet, das Leben.“


Wie viel erbaulicher wirkt es, wenn Mezzosopranistin Tajana Raj das Machogehabe der Holofernesse über sich ergehen lässt. Sie bleibt stimmsicher, während sie von mehreren schmutzigen Typen begrapscht wird. Unter den Feldherrn ist der hünenhafte Sebastian Kowski der Leitwolf, eine tolle Darbietung, assistiert von Sebastian Röhrle, Dino Scandariato und Matias Tosi. Ganz in Schwarz mit riesigem Reifrock schwebt der Countertenor Daniel Gloger über die Bühne und hat Probleme mit den Koloraturen. Ein weiteres Sängerquartett muss ungewöhnlich agieren, treibt per Bibel-Rap die Handlung voran, tritt dann in einem Fenster der hinteren, beweglichen Bühnenwand auf. Muriel Gerstner ist einfallsreich, dank ihrer Bühne und ihrer Kostüme gelingen doch einige sehr beeindruckende Bilder.


Die Handlung aber, die ist, bei aller Länge und Üppigkeit, schwer zu erahnen. Hat dieses Unternehmen System, oder ist es ein zügelloser, unkoordinierter Angriff auf die unbefestigte Stadt Hallein? Folgende Einschätzung bleibt eine gefühlsmäßige: Vor der Pause bei aller Gewöhnungsbedürftigkeit unterhaltsam und meist auch flott. Dann fehlen die magischen Momente, das Unternehmen zerfasert.


Judiths mörderischer Besuch im Lager des Feldherrn endet im Nachtklub. Da wieder ist Tismer mit ihren exzessiven Tanzübungen in Hochform, ein reizvoller Kontrast zu den beiden anderen Judiths, die stoisch ihr Opfer auf sich nehmen, singend und deklamierend zu stricken beginnen.


Schließlich gibt es noch das erwähnte Ratespiel mit barocken Bildern. Das Fenster in der Hinterwand geht auf: Ha! Die Judiths säbeln dem Holo die Birne ab, als hätten sie es bei Artemisia Gentileschi gelernt. Fenster zu, Fenster auf. Ist das jetzt ein Mord nach Tintoretto? Das Blut spritzt, die Damen stellen es in Form ihrer roten Strickwolle dar. Die Szene erstarrt. Hin ist er, der böse Mann.

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