Auf zum letzten Gefecht! Zu welchem, Genossen?

Die SPÖ hat ihre Rolle als Vorkämpferin für demokratische Rechte aufgegeben. Ein neuer Messias soll sie nun retten.

Ein Tod in Würde ist nicht jedem gegeben – schon gar nicht in der Politik, schon gar nicht Ex-Kanzler Werner Faymann und der SPÖ. Totgesagte leben angeblich länger. Aber in Hinblick auf Faymann kann man diese These als widerlegt betrachten, während das Ob, Wie und Wann des Ablebens der Sozialdemokratie in ihrer degenerierten Mutation SPÖ noch nicht klar absehbar ist.

Aber sie könnte nach jahrzehntelangem Anlauf endgültig den Selbstmord schaffen: Dazu muss sie nur ein paar Gesichter austauschen und die idente Politik – besser verpackt und energischer betrieben – fortsetzen. Ein Kern macht noch keine verführerisch lockende, rote Kirsche. Soll es mit dem Suizid schnell gehen, kann man übrigens den Vorschlag von Professor Anton Pelinka, auf Blairs und Schröders Spuren zu wandeln, nur wärmstens empfehlen.

Faymann war nicht Ursache der Krise, er war deren Symptom. Dass er sich so lang halten konnte, ist Beweis für den jämmerlichen Zustand der SPÖ. Wenn die Spitzenfunktionäre (die Mitglieder sind statutarisch entmündigt) einen Politiker ohne Format, den schlechtesten Kanzler seit 1945, von Wahlschlappe zu Wahlschlappe hecheln lassen, dann offenbart das absoluten Realitätsverlust.

Im Stil eines Altherrenklubs

Wenn einer der zwei präsumtiven Nachfolger freimütig bekennt, man habe sich seit einiger Zeit in Sachen Sturz des Kanzlers abgesprochen, ist der Tiefstand innerparteilicher Demokratie dokumentiert. Die Klärung der Nachfolge Faymanns erfolgte im Stil herabgekommener englischer Altherrenklubs mittels Hinterzimmerabsprachen. Einst wollte man die Gesellschaft mit Demokratie durchfluten. Jetzt steht der Demokratie in der SPÖ das Wasser bis zum Hals.

Der Verlust des realen Kontakts zu den Mitgliedern ist evident. Es herrscht eine kleine Kaste von Politikern, die von ihren politischen Jobs abhängen. Entscheidungen fallen meist im Hinblick auf die eigene Karriere. Hätten die Mitglieder etwas zu reden, wäre Faymann schon vor Jahren aus dem Amt geflogen. Ohne Einbindung der Mitglieder auf allen Ebenen und Direktwahl der Führung wird die Erstarrung durch sich selbst wählende Funktionärscliquen nicht zu überwinden sein.

Der Abstieg der SPÖ hat schon unter Franz Vranitzky begonnen. Mehr, als nicht mit der FPÖ zu koalieren, fiel ihm nicht ein. Politische Inhalte gegen den Aufstieg der Blauen aber gab es nicht. Die „Modernisierungsverlierer“ wurden konzeptlos der EU-internen „Globalisierung“ ausgesetzt und sich selbst überlassen.

Die Sozialdemokratie unterwarf sich widerstandslos dem Marktextremismus, wetterte dafür aber in Sonntagsreden nebulos gegen einen ebenso nebulos definierten Neoliberalismus. Auf diversen „dritten Wegen“ ist sie selbst Mitverursacher marktextremistischer Auswüchse geworden. Bei der begonnenen Anbiederung an die FPÖ geht es bloß um die Sicherung von Machtpositionen. Man versucht es wieder einmal mit „Besser mit den Massen irren, als gegen sie recht behalten!“ Blöd gelaufen! Jetzt irrt man ohne diese Massen durch die Zeitgeschichte.

Die Sozialdemokratie hat nie ernsthaft versucht, den vier „Freiheiten“ der EU die marktextremistischen Zähne zu ziehen und ihre Funktion als Arzt am Krankenbett des Kapitalismus zeitgemäß zu erfüllen. Sozialdemokratische Wirtschaftspolitik erschöpfte sich bei einer Staatsquote von 50 Prozent im immer gleichen Geheul nach Erbschafts- und Vermögenssteuern. Die ernsthafte Besteuerung internationaler Konzerne wurde dagegen nie angegangen.

Bis heute kümmern sich weder SPÖ noch Gewerkschaften um jene, die auf neue Art in ihrem sozialen Sein bedroht sind: Prekäre, Einzel- und Kleinunternehmer. Ein nicht geringer Teil dieser Leute rekrutiert sich aus jenen Schichten, die lange Zeit Teil der Koalition zwischen Arbeiterschaft und Mittelstand waren.

Solidarität? Sorry, vergessen!

Völlig vergessen wurde, dass das sozialdemokratische Projekt darin bestand, den Mittelstand vor dem Abstieg zu bewahren und gleichzeitig den Aufstieg benachteiligter Schichten zu ermöglichen – eben die Idee gesellschaftlicher Solidarität. Die SPÖ hat tatenlos zugeschaut, wie diese Solidarität unter dem Ansturm einer sozialdarwinistischen Wettbewerbsideologie des 19. Jahrhunderts zerbröselt ist.

Gegen den aufkeimenden Nationalismus wurde kein Mittel gefunden, die genuin vorhandene internationalistische Idee neu zu formulieren. Als die Sozialdemokratie sich als wirklich internationalistische Kraft hätte bewähren müssen, hat sie versagt. Sie war nicht in der Lage, den nationalistischen Rattenfängern mit wirkungsmächtigen Konzepten entgegenzutreten.

Die Angst vor dem Abstieg

Dass die Sozialdemokratie alle Ziele erreicht habe und nun unter Aufgabenmangel leide, ist ein dummes Märchen, das leider allzu gern geglaubt wurde, enthebt das doch der Notwendigkeit, für die aktuellen Armutsprobleme Lösungen zu finden. Auch das Engagement der frühen Sozialdemokratie für die „Ziaglbehm“ in Wien war nicht besonders populär. Heute sind es die Asylanten, Flüchtlinge und aus dem EU-Osten zugewanderten Arbeitskräfte, denen – gemeinsam mit unqualifizierten „Heimischen“ – dauerhafte Pauperisierung droht.

Man hat dieses Problem ignoriert und Multikulti gespielt. Inzwischen hat die Angst vor dem Abstieg nicht nur die Reste der Arbeiterschaft, sondern fast den gesamten Mittelstand erfasst. Die Probleme, die aus der Ostöffnung erwuchsen, wurden zuerst unterschätzt, dann ignoriert. Daran hat sich bis heute nichts geändert.

Die SPÖ hat ihre Rolle als Vorkämpferin für demokratische Rechte aufgegeben. Sündenfälle wie die Verlängerung der Legislaturperiode oder die Aushebelung der Gewaltentrennung im neuen Asylgesetz hat sie federführend umgesetzt. Intellektuelle und Künstler haben sich in Scharen von der SPÖ und ihren kleingeistigen Aushängeschildern abgesetzt. Die FPÖ hat die Hegemonie über den gesellschaftlichen Diskurs erlangt.

Es braucht totale Erneuerung

Jene verkrustete Funktionärsschicht, die all das zu verantworten hat, ist noch immer in Amt und Unwürden. Ein neuer Messias soll sie retten. Dafür braucht es aber totale personelle und inhaltliche Erneuerung. Diese ist wohl nur in der Opposition möglich, indem die Macht auf die eigene Überzeugungskraft reduziert wird.

Sage keiner, da könne man nichts durchsetzen. Die FPÖ beweist seit bald drei Jahrzehnten, wie man die Gesellschaft ohne eigene Mehrheit verändert. Ja, viele Menschen haben inzwischen mehr zu verlieren als ihre Ketten. Aber die SPÖ wird sich entscheiden müssen, ob sie überhaupt noch in ein Gefecht ziehen will, in dem es um mehr geht als um die Machtpositionen einer satten Funktionärsriege. Das Ende der SPÖ ist vorstellbar – die Sozialdemokratie wird sich dann eben eine neue Behausung suchen. Vielleicht findet man so die Antwort auf die Frage: „Auf zu welchem Gefecht?“


E-Mails an: debatte@diepresse.com

DER AUTOR

Michael Amon (* 1954 in Wien), Kreisky-Preisträger, lebt als freier Autor in Gmunden und Wien. Der Romancier und Essayist ist auch geschäftsführender Gesellschafter einer kleinen Steuerberatungskanzlei. Seine letzten zwei Bücher: „Panikroman“ und „Nachruf verpflichtet“. Sein Roman „Der Preis der Herrlichkeit“ erscheint im Herbst. „Auf zu welchem Gefecht?”, ein Essayband über die Zukunft der Sozialdemokratie, ist in Arbeit.

(Print-Ausgabe, 19.05.2016)

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