Kern: "Wer keine Visionen hat, braucht einen Arzt"

Kanzler Kern bei seiner Erklärung an den Nationalrat.
Kanzler Kern bei seiner Erklärung an den Nationalrat.(c) Reuters
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Der neue Kanzler versprach im Nationalrat klare Grundsätze und Haltungen. Ab heute laufe "der Countdown um die Herzen der Menschen".

Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) hat seine erste Erklärung im Nationalrat abgegeben. Wie bereits bei seiner Antrittspressekonferenz kritisierte er den derzeitigen Zustand der Politik: Die Menschen hätten den Eindruck eines Stillstands. „Politik wird in der Öffentlichkeit als eine Art Hunderennen wahrgenommen", sagte Kern, es gehe oft nur um kurzfristige "Siege". Politischer Inhalt sei da zu oft verloren gegangen, "damit müssen wir brechen."

"Wir müssen wieder klarmachen, wofür wir stehen", betonte der designierte SPÖ-Chef. "Menschen brennen nicht für Kompromisse, sie brennen für Grundsätze und Haltungen." Zwar seien Kompromisse wichtig, man solle das Denken aber nicht damit beginnen. Im Jahr 2016 müsse es heißen: „Wer heute keine Visionen hat, braucht einen Arzt“, wandelte Kern ein bekanntes Zitat von Helmut Schmidt (oft fälschlich Franz Vranitzky zugeschrieben) ins Gegenteil an.

"Wenn wir scheitern, dann aus den richtigen Motiven"

Ihm sei bewusst, dass es eine hohe Erwartungshaltung ihm gegenüber gebe. Das Land sei durch Lobbyismus und Föderalismus geprägt und es sei nicht leicht hier, hier „einen Stein an die Spitze zu rollen.“ Es werde auch Enttäuschungen und Frust geben, aber er verspreche, „dass wir mit jeder Faser unseres Wollens versuchen werden, die Dinge in die richtige Richtung zu bewegen. “Wenn wir scheitern, dann aus den richtigen Motiven“, sagte der Kanzler. Ab heute laufe "der Countdown um die Herzen der Menschen."

Gegenüber den Medien will sich das neue SPÖ-Team offenbar etwas zurücknehmen. Derzeit entstehe durch das „Gewitter an Terminen“ eine „Kurzatmigkeit“. Er halte es „für sinnvoll, nicht jedem Mikrofon gegenüber eine Wortspende abzugeben“, betonte Kern. Dann habe man auch wieder mehr Zeit zum Nachdenken über Inhalte.

Allzu konkrete inhaltliche Pläne gab der Kanzler heute freilich noch nicht bekannt. Erneut schlug er der ÖVP einen "New Deal" für die Wirtschaft vor. Er wolle kurzfristig die Investitionsbereitschaft der privaten Investoren stärken. Es brauche aber auch öffentliche Investitionen, unter anderem in Grundlagenforschung. Als größte Wachstumsbremse für die Wirtschaft bezeichnete Kern "schlechte Laune".

Mitterlehner: "Zauber heißt nicht Zauberkunststück"

VP-Vizekanzler Reinhold Mitterlehner nahm Kerns Vorlage an. "Ich habe die Rede gehört. Ich will; ich glaube, unsere Seite will auch. Und wenn wir gemeinsam die Probleme angehen, sollte sich Anspruch und Wirklichkeit miteinander verbinden", sagte er. "Auf gute Zusammenarbeit, wir gehen die Sache an." Er warnte aber auch vor überhöhten Erwartungen. "Jedem Neuen wohnt natürlich ein Zauber inne, das habe ich selber erlebt." Allerdings, so Mitterlehner vor allem Richtung Journalisten: "Zauber heißt nicht Zauberkunststück." 

Für die Wirtschaft, so Mitterlehner, brauche es tatsächlich Bürokratieabbau, Deregulierung und Flexibilisierung. Mehr Wettbewerbsfähigkeit müsse es aber auch im Gesundheitsbereich, am Arbeitsmarkt und bei den Pensionen geben.

Die Opposition bescherte Ken einen recht freundlichen Empfang. Sowohl Grünen-Chefin Eva Glawischnig als auch Neos-Klubobmann Matthias Strolz zeigten sich von dessen Ausführungen durchaus angetan. Auch vom Team Stronach kam wenig Kritik, einzig FP-Obmann Heinz-Christian Strache zeigte sich ungnädig. "Zum x-ten Mal" begrüße man jetzt im Nationalrat neue Minister, "wie oft noch", fragte sich der Klubchef der Freiheitlichen: "In Wahrheit sollten demokratische Neuwahlen erfolgen." 

Lopatka "nicht in der Telefonzelle"

Für Lacher sorgte ÖVP-Klubobmann Reinhold Lopatka, als er sich selbst quasi vom Saulus zum Paulus wandelte. Bezug nehmend auf seine kritischen Aussagen zu Kerns Tätigkeit bei ÖBB und Verbund meinte er: "Meine Äußerungen letzte Woche waren in die Vergangenheit gerichtet. Ich werde mich ab jetzt mit der Zukunft beschäftigen". Kern hatte Lopatka ja darauf mit einem Selbstmord-Attentäter in der Telefonzelle verglichen. Der Klubchef dazu: "Ich habe mich nie in einer Telefonzelle gesehen."

Noch nicht viel vom versprochenen neuen Stil war zu Beginn der Sitzung beim Thema Mindestsicherung zu bemerken. Bei der Fragestunde an Sozialminister Alois Stöger (SPÖ) wurden die unterschiedlichen Positionen der Koalitionsparteien einmal mehr deutlich. Stöger lehnte eine Deckelung der Leistung erneut ab.

FPÖ: Dringliche Anfrage zum Brunnenmarkt

Am Nachmittag wird eine Dringliche Anfrage der FPÖ an Justizminister Wolfgang Brandstetter behandelt. Darin geht es um Konsequenzen aus der Bluttat in Ottakring Anfang Mai, als ein vorbestrafter Kenianer eine Frau mit einer Eisenstange tötete. In gesamt 27 Fragen an Brandstetter versuchen die Freiheitlichen nun herauszufinden, ob es in dem Fall ein Behördenversagen gab. Speziell soll der Minister klarstellen, wie er die vermeintliche Untätigkeit der Staatsanwaltschaft zu sanktionieren gedenkt. Schließlich war der Kenianer schon einige Monate vor der Tat einmal mit einer Eisenstange auf Menschen losgegangen.

Überhaupt wollen die Freiheitlichen wissen, ob der Justizminister als Konsequenz aus dem Fall Reformen einzuleiten gedenkt. Speziell regt die FPÖ an, die Schnittstellen Polizei-Staatsanwaltschaft und Polizei-psychiatrische Einrichtungen zu verbessern.

Geht es nach den Freiheitlichen, würde freilich Brandstetter die Reformen gar nicht mehr selbst durchführen können. Denn die Freiheitlichen wollen im heutigen Plenum über einen Fristsetzungsantrag den Weg zu Neuwahlen öffnen. Eine Mehrheit dafür ist aber mehr als unwahrscheinlich.

Wichtigster Gesetzesbeschluss am Donnerstag sind die neuen Regeln für Abschlussprüfer. Zudem wird der Hypo-U-Ausschuss bis Oktober verlängert.

(kron/APA)

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