Die Warnung vor der Orbánisierung Österreichs und anderer Unsinn

Wenn die Machtfülle des Präsidenten tatsächlich so eine Bedrohung darstellt – warum haben dann SPÖ und ÖVP daran bitte jahrzehntelang nichts geändert?

Es gibt ein paar ganz gute Gründe, am Sonntag nicht für den Favoriten Norbert Hofer zu stimmen; so wie es auch gute Gründe gibt, Alexander Van der Bellen nicht zu wählen. Wer sich nicht zum gefühlt hundertsten Mal mit zugehaltener Nase der Logik des kleineren Übels beugen möchte, wird wohl in der politischen Abseitsfalle der Stimmenthaltung enden. Neben berechtigten Einwänden gegen Herrn Hofer dominiert freilich ein Argument die Debatte, das eher scheinheilig ist: nämlich, Hofer würde die von der Bundesverfassung vorgesehenen weitreichenden Befugnisse des Amtes tatsächlich ausüben. Etwa, indem er die Regierung entlasse und eine neue, ihm wohlgesinnte einsetze, auf deren Vorschlag er dann den Nationalrat auflösen und damit Neuwahlen auslösen könne.

Das Interessante an dieser Argumentation ist, dass diese Befugnisse des Herrn in der Hofburg seit vielen Jahrzehnten jedem bekannt gewesen sein müssen, der auch nur am Rande mit der österreichischen Bundesverfassung vertraut ist. Ganz offensichtlich haben diese Befugnisse aber keine der im Parlament vertretenen Parteien auch nur im Geringsten gestört. Sonst hätte ja wohl irgendwann im Verlauf der Jahrzehnte irgendeine politische Kraft vorgeschlagen, eine entsprechende Änderung der Bundesverfassung herbeizuführen, was mit entsprechender parlamentarischer Mehrheit problemlos möglich gewesen wäre.

Dass es darüber bis vor wenigen Wochen nicht einmal den Ansatz einer politischen Debatte gegeben hat, kann eigentlich nur einen Grund haben: dass alle Parteien mit der bestehenden Verfassungslage einverstanden waren. Diese nun aber plötzlich zu einer Bedrohung für Demokratie und Rechtsstaat hochzujazzen, weil erstmals jemand Präsident werden könnte, der nicht rot oder schwarz ist, riecht irgendwie merkwürdig.

Die starke Position des Bundespräsidenten ist offenbar nur dann ein Problem, wenn er von einer anderen Partei als den beiden noch regierenden stammt und nicht von vornherein heilige Eide ablegt, nicht zu tun, was er laut Verfassung durchaus tun darf. Nicht wirklich durchdacht erscheint auch die in diesem Kontext oft bemühte Warnung, eine Wahl Hofers sei der Einstieg in eine sogenannte Orbánisierung der Republik.

Nun erzeugen sowohl Herr Hofer als auch die FPÖ durchaus den Eindruck, eine solche Modifikation des demokratischen Systems anzustreben. H.-C. Strache hat wiederholt die Zusammenlegung des Kanzleramts mit jenem des Bundespräsidenten gefordert. Sollte, was nicht gänzlich auszuschließen ist, in nicht allzu ferner Zukunft Herr Hofer Herrn Strache als Bundeskanzler angeloben, dürfte zweifellos ein entsprechendes politisches Momentum entstehen. Nicht zuletzt deshalb, weil leider auch der Anteil der Österreicher, die mit autoritären Herrschaftsformen liebäugeln, eher zu- als abnimmt.

Von einer Orbánisierung ist die Republik aber selbst in diesem Fall noch weit entfernt. Denn rechtlich ist eine solche Änderung des politischen Systems nur möglich, wenn dazu die entsprechenden Gesetze, in vielen Fällen wohl auch Verfassungsgesetze, mit den dafür notwendigen Mehrheiten geändert werden.

Die Orbánisierung war in Ungarn ja auch nur möglich, weil Viktor Orbáns Partei am Beginn dieses Prozesses über eine Verfassungsmehrheit im Parlament verfügte. Dass die FPÖ hingegen nach der nächsten Wahl über eine absolute Mehrheit – oder gar eine Verfassungsmehrheit – verfügt, kann nach menschlichem Ermessen hingegen ausgeschlossen werden. Eine Orbánisierung Österreichs wäre daher logisch zwingend nur dann möglich, würden ÖVP und/oder SPÖ diesen Prozess mittragen und in Verfassungsfragen sogar eine noch größere parlamentarische Mehrheit mitmachen.

Das Geraune von der Orbánisierung des Landes ist daher entweder substanzlose Angstmache – oder aber sie beinhaltet die Unterstellung, auch SPÖ und ÖVP würden bei so etwas mitmachen. Was man aber mit dem Wissensstand von heute eher ausschließen kann. Hoffentlich.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Zum Autor:

Christian Ortner ist Kolumnist und Autor in Wien. Er leitet „ortneronline. Das Zentralorgan des
Neoliberalismus“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.05.2016)

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