Die Qual

Van der Bellen und Hofer
Van der Bellen und HoferAPA/ROLAND SCHLAGER
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Das Wahlkampffinale gestaltet sich hysterisch-ernüchternd. Zur Orientierungshilfe hat „Die Presse“ den Kandidaten Fragen zu problematischen Positionen gestellt, sie haben beide geantwortet.

Gibt es jemanden in diesem Land, der eine Tastatur bedienen kann und noch keine öffentliche Wahlempfehlung abgegeben hat? Offenbar glauben viele Zeitgenossen, dass der durchschnittliche Wähler allein nicht in der Lage sei, sich ein Bild der zwei Kandidaten und politischen Konzepte zu machen. Und das, obwohl die beiden in kurzer Zeit mehr TV-Termine und -Diskussionen bestritten haben und über sich ergehen lassen mussten als ein normaler Minister in seiner gesamten Karriere. Diese neue Form der politischen Pose für einen Kandidaten wird nicht nur durch den schnellen Zugang zur mutmaßlichen Öffentlichkeit in den sozialen Medien gefördert, sondern durch die Polarisierung auf eine Person beziehungsweise Partei. Norbert Hofer und seine Freiheitlichen garantieren – wie schon im Wiener Wahlkampf – mit möglichen Siegeschancen und Übernahme der Hofburg für internationale Aufmerksamkeit und die Zuspitzung: Es geht nur darum, dies mit allen Konsequenzen zu vollziehen oder zu verhindern.

An dieser Stelle sei noch einmal ganz deutlich daran erinnert: Um die Stichwahl um das höchste Amt im Staat kämpfen ein Freiheitlicher und ein Grüner. Dass es kein Kandidat der politischen Mitte so weit geschafft hat, ist ein – durchaus besorgniserregendes – Zeichen für die Auflösung des bisherigen Systems. Dies haben die Spitzenvertreter von SPÖ und ÖVP in Bund und Ländern sowie die dahinter stehenden altbekannten Institutionen zu verantworten. Dass diese Niederlage des österreichischen Proporzsystems indirekt den Rücktritt Werner Faymanns ausgelöst und Christian Kern an die Spitze gebracht hat, der zumindest versteht, was da passiert, ist die gute Nachricht.

Die schlechte: In einem merkwürdig hysterischen Wahlkampf um ein Amt, das bisher nur Papiertiger magisch angezogen hatte, wurden beide Kandidaten weder sympathischer noch überzeugender. Einen Tiefpunkt erreichten die Kampagnen mit der ATV-Sendung ohne Moderator, die an einem provokanten FPÖ-Kandidaten und einem rasch provozierten Grün-Politiker scheiterte. Spätestens zu diesem Zeitpunkt fragte man sich ein wenig ratlos: Wen soll man da wählen?

Für dieses Dilemma wollten wir mit einem einfachen Brief eine kleine Orientierungshilfe schaffen: Beide Kandidaten erhielten via Mail und per Post konkrete Fragen zu jenen Meinungen und Positionen der beiden, die in möglichem Widerspruch zur bedingungslos liberalen, rechtsstaatlichen, wirtschafts- und europafreundlichen Blattlinie dieser Zeitung stehen.

Wie schon mehrmals in diesem Wahlkampf haben beide vorsichtig geantwortet. Norbert Hofer vertritt bei drei aufgeworfenen Themen eine problematische Haltung, Van der Bellen bei zwei.

Geradezu fahrlässig haben beide Kandidaten in den vergangenen Wochen endgültig dafür gesorgt, dass eine breite Mehrheit in Öffentlichkeit und Politik ein Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA, dessen Details noch keiner kennt, strikt ablehnt. (Die Intransparenz bei den Verhandlungen darüber begünstigt absurde Interpretationen und veredelt jede noch so trübe Quelle.) Als Staatschef eine potenzielle Verbesserung und Vergrößerung des freien Marktes a priori auszuschließen ist inakzeptabel.

Das Thema Europäische Union war zwar im Wahlkampf präsent, wurde aber von beiden Kandidaten vor allem zur Abgrenzung zum jeweils anderen benutzt. Die Aussage Norbert Hofers, er würde auch heute gegen einen EU-Beitritt stimmen, da er davon ausgehe, Österreich hätte als Nichtmitglied mittlerweile eine ähnliche Stellung als Partner bilateraler Verträge wie die Schweiz, ist geradezu lächerlich. Erstens hat Österreich nie und hatte nie die finanzielle Potenz eines Banken- und Kapitalmarkts wie die Schweiz. Zweitens scheint Hofer als einer der wenigen in diesem Land den rot-schwarzen Regierungen der vergangenen Jahrzehnte ein derartiges Verhandlungsgeschick zuzutrauen, für Österreich in diesem konstruierten Fall die schönsten Rosinen herausgepickt zu haben.

Van der Bellen argumentiert nachvollziehbarer, er war schon – natürlich wie immer vorsichtig vage – EU-Befürworter, als die Grünen noch dagegen Sturm liefen. Wie seine Vision einer idealen EU aussieht, konnte er im „Presse“-Interview auch nicht präzise formulieren. Aber vielleicht gibt es eine solche auch nicht.

Wirklich verheerend verlief die Debatte um die Kompetenzen des Bundespräsidenten. In einem wirren Wettlauf vor dem ersten Durchgang wurde über Notverordnungen, Krisenfälle, Entlassungen von Regierungen und Ministern sowie die Auflösung des Parlaments diskutiert, als stünde der Bürgerkrieg bevor. Van der Bellen ruderte inzwischen zurück und schließt einen FPÖ-Kanzler mit Mehrheit im Parlament nicht mehr aus. Auch Hofer dämmte seine Allmachtsfantasien zuletzt ein, gefällt sich aber weiter in der Rolle des besonders aktiven, mächtigen Bundespräsidenten, der die Regierung antreibt. Oder er gibt nur an.

Der Ex-Präsident des Verwaltungsgerichtshofs Clemens Jabloner schrieb 2013 – also nicht im Wahlkampf – über die Macht des Präsidenten: „Wer dieses Amt ausübt, muss nicht der josephinische Typ sein, den wir gewohnt sind, ein entsprechend bonapartisches Amtsverständnis könnte diese [. . .] massiven Kompetenzen auch eines Tages tatsächlich zur Geltung bringen. Im Verein mit plebiszitären Instrumenten [. . .] würde die Demokratie ersticken.“

Nach welchen Spielregeln unser Land in Zukunft regiert wird, sollte nicht en passant in einer Präsidentschaftswahl mitentschieden werden, die auch von anderen Themen und Emotionen überlagert wird. Darüber muss eine reife Gesellschaft lang diskutieren und dann gegebenenfalls darüber in einer Volksabstimmung abstimmen. Nicht an diesem Sonntag.

Da geht es um den geringeren politischen Schaden.

(Print-Ausgabe, 21.05.2016)

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