Killermodels und Gespenster in Cannes

Elle Fanning in ''The Neon Demon''
Elle Fanning in ''The Neon Demon''(c) Filmfestival Cannes
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Zwei Wettbewerbsfilme handeln vom Mode-Business – und beide wurden ausgebuht. Was nicht heißt, dass sie schlecht sind: „The Neon Demon“ und „Personal Shopper“ lassen Fragen offen. Das ist so empörend wie faszinierend.

Wenn ein Film bei den Filmfestspielen in Cannes ausgebuht wird, heißt das für gewöhnlich weder, dass er schlecht, noch, dass er gut ist – nur, dass er sich nicht in eine Schublade stecken lässt. Denn was man hier nur selten akzeptiert, ist künstlerische oder narrative Ambiguität. Auch dieses Jahr gab es im Wettbewerb Beiträge, die bei ihren Pressevorführungen Empörungsschreie provozierten. Einer davon stammte – wenig überraschend – vom dänischen Enfant terrible Nicolas Winding Refn. Dieser hat zuletzt mit dem kryptischen Bangkok-Höllentrip „Only God Forgives“ die Gemüter in Cannes gespalten. Die meisten Fans seines Durchbruchs „Drive“ waren perplex angesichts der radikalen Zuspitzung seiner hyperstilisierten Ästhetik Richtung Surrealismus. Sein aktuelles Werk „The Neon Demon“ beschreitet denselben Weg, auch wenn es zunächst mit klassischen Thriller-Konventionen flirtet.

Jesse (engelsgleich: Elle Fanning) kommt als blauäugige Unschuld vom Lande nach Los Angeles, um dort als Model Karriere zu machen. Umgehend wird sie von einer Agentur engagiert: Die Authentizität ihrer Schönheit sorgt überall für offene Münder. Zugleich zieht ihr Erfolg den Neid ihrer Kolleginnen auf sie, die zum Äußersten bereit sind, um auf dem Laufsteg zu bleiben. Als Satire auf die korrupte, menschenfressende Modewelt ist „The Neon Demon“ ausgesprochen plump, die gemessene Genreerzählung hebt nie wirklich ab und kippt am Ende vollends ins Absurde. Aber Refn ist primär Stilist und Synästhetiker, und in dieser Hinsicht stellt „The Neon Demon“ vielleicht sogar die Apotheose seines schummrigen, pulsierenden Kunstlicht-Designerkinos dar: Es wirkt, als hätte Horrormeister Dario Argento ein langes Werbevideo für „Vogue“ gedreht. Schöne Oberflächen sind für Refn Abgründe mit Sogwirkung, und einzelne Sequenzen – etwa ein abstrakter Abschnitt, in der Jesse (allem Anschein nach) vom titelgebenden Neondämon besessen wird – walzen einen schlichtweg nieder mit ihrer Kombination aus knalligen Bildern und Cliff Martinez' dröhnender Synthesizermusik.

Das Schauspiel steigert die entrückte Atmosphäre, es wirkt seltsam gestelzt, künstlich wie alles an diesem Film: Als würden sich lebensgroße Barbiepuppen im Vakuum (und in Zeitlupe) miteinander unterhalten. Die Kamera eifert mit ihren langsamen Zooms und zentralperspektivischen Einstellungen Kubrick nach, setzt allgemein auf visuelle Intensität und sucht nach der Transzendenz in der Glätte. Ein spanischer Kritiker hatte dafür nur ein Wort parat, das er nach dem Presse-Screening lauthals herausschrie: „Onanista“!

Sexuelle Erfüllung im Designerkleid

Zweites Buh-Opfer im Palmenrennen war „Personal Shopper“ von Olivier Assayas, der ebenfalls im Modemilieu angesiedelt ist. Der Titel bezieht sich auf den Beruf der Hauptfigur: „Twilight“-Star Kristen Stewart spielt Maureen, die Assistentin eines eitlen deutschen Modepromis (Nora von Waldstätten). Mit dem Moped fährt sie von einem Pariser Nobelmodehaus zum nächsten und kümmert sich darum, dass der Kleiderschrank ihrer Klientin stets mit der neuesten Haute Couture gefüllt ist. Für Maureen selbst gilt dabei striktes Anprobierverbot: ein Symbol ihrer ausgehöhlten Identität als Zwischenglied materialistischer Verwertungsketten. Wer sich selbst verloren hat, ist anfällig für Begehren aller Art. In Maureens Fall ist es die Sehnsucht, Kontakt zu ihrem verstorbenen Bruder Lewis aufzunehmen: Auf leisen Sohlen schleicht sie in ihrer Freizeit durch Lewis' altes Haus und empfängt im Dunkeln nebulöse Zeichen aus der Geisterwelt. Die Selbstverständlichkeit, mit der Assayas seinen Alltagsrealismus paranormal unterfüttert, mag befremden, doch das übernatürliche Element in „Personal Shopper“ ist kein Horror-Gimmick, sondern Ausdruck existenzieller Leere.

Es kommt noch seltsamer: Bald wird die Protagonistin von anonymen Textnachrichten heimgesucht, der Film mutiert für eine halbe Stunde zum Experimentalthriller. Die Botschaften fordern Maureen heraus, ihre innersten Fantasien auszuleben – was zu einer ausgedehnten Sequenz führt, in der sie erstmals ein Kleid ihrer Chefin anzieht und so sexuelle Erfüllung findet; als Begleitmusik läuft ausgerechnet Ferdinand Raimunds „Hobellied“. Frustrierend ist, das Assayas fast alle seine Genre-Versprechen bewusst ins Nichts laufen lässt, aber letztlich muss man „Personal Shopper“ wohl eher als modernes Psychodrama über das Gespenstische an unseren digitalisierten Existenzen verstehen. Stewart trägt den Film: Sie ist nahezu immer im Bild, und die Rolle einer labilen, introvertierten Sinnsucherin ist ihr wie auf den Leib geschrieben.

Sowohl „The Neon Demon“ als auch „Personal Shopper“ lassen Fragen offen. Man kann sie schwer kategorisieren, auch nicht auf ihre Handlung oder Botschaft reduzieren. Das macht sie angreifbar in Cannes' Blitzurteilkultur – aber auch faszinierender als viele andere Filme hier.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.05.2016)

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