Kurzes Familienglück: (Adoptiv-)Eltern für ein Wochenende

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Zweimal haben Franziska und Viktor die Zusage für ein Adoptivkind erhalten, einmal hielten sie ihr Baby bereits im Arm - bevor der Widerruf kam und der Traum des Elternseins platzte.

„Zu zweit sind wir komplett, wie eine Torte“, sagt die Frau mit den braunen Haaren. „Hätten wir ein Kind, wäre es das Sahnehäubchen oben drauf.“ Sie lächelt, nimmt die Hand ihres Mannes in die ihre. „Es muss nicht sein, soll das bedeuten“, ergänzt er. Doch es wäre wünschenswert. Seit ihrer Hochzeit im Jahr 2008 hegen Franziska und Viktor, die ihre wahren Namen nicht in der Zeitung lesen möchten, die Hoffnung, Eltern zu werden. Auf natürlichem Weg ist dies aussichtslos. Schon dreimal haben sie deswegen eine In-vitro-Fertilisation versucht. Immer ohne Erfolg. So fiel im Herbst 2012 die Entscheidung, eine Adoption zu wagen. Ein Weg, der dem in Wien lebenden Paar zwei Kinder bescheren und wieder nehmen sollte.

Der Reihe nach: Im September 2012 absolvierten Franziska und Viktor einen Vorbereitungskurs beim Verein Eltern für Kinder Österreich (Efkö). „In sechs Modulen wurden wir über Medizinisches, Juristisches und die Arten der Adoption informiert“, sagt der 35-jährige Viktor. Zu diesen zählen die offene Adoption, bei der die „Bauchmutter“ die Adoptiveltern kennenlernt, die halb offene, bei der sich die leibliche Mutter mittels der Behörde über das Kind informieren kann, und die Inkognitoadoption. Letztere macht laut Efkö zwei Drittel der Inlandsadoptionen aus. Fällt die Wahl auf sie, erhalten die leiblichen Eltern Eckdaten über das Adoptivpaar und dürfen es mitauswählen, Namen und Adresse erfahren sie aber nicht. Auch der Umgang mit Kindern mit Migrationshintergrund wird in den Seminaren angesprochen. Eine eigene Statistik hierzu fehlt zwar, doch gehen Branchenkenner davon aus, dass Adoptivkinder einen solchen häufig aufweisen. „Wir zählen das nicht, doch das spielt bei anonymen Geburten, die in den Spitälern seit 2001 erlaubt sind, vermutlich eine Rolle, da es in manchen Kulturkreisen verpönt ist, vor der Ehe schwanger zu sein“, sagt Martina Reichl-Roßbacher, Leiterin des Referats für Adoptiv- und Pflegekinder der MA11 in Wien.

Was darf ein Kind mitbringen? Nach absolviertem Kurs werden zukünftige Eltern so wie Franziska und Viktor zu einem Beratungsgespräch geladen, „um die Motivation der künftigen Adoptiveltern festzustellen“, sagt Reichl-Roßbacher. „Wir suchen Eltern für Kinder, nicht Kinder für Eltern, da muss alles stimmen.“ Etwa, dass sich die potenziellen Eltern bereit erklären, den Nachwuchs über seine biologische Abstammung aufzuklären. „Sonst wäre das ein Vertrauensmissbrauch“, betont die Expertin. Zudem gilt es, eine Reihe von Fragen zu beantworten: Was soll ein Kind mitbringen? Darf es einen Entzug gehabt haben? Eine andere Hautfarbe? „Es braucht Mut, seine Ideale auszusprechen, und noch mehr davon, um zu sagen: ,Wenn das zutrifft, will ich es nicht‘“, so die Sozialarbeiterin.

Franziska und Viktor haben die Konfrontation mit sich selbst schon hinter sich gebracht. „Es gibt kaum etwas, das uns abschreckt“, sagen sie. „Risikofreudig“ wird das in der MA11 genannt. „Selbstverständlich“ nennen es die beiden. Nach dem Gespräch wurde ihnen eine Pflegestellenbewilligung ausgestellt. Es folgte ein amtliches Bewilligungsverfahren, nach dessen positivem Abschluss sie in einem Pool von Bewerbern für Adoptivkinder landeten. „Eine chronologische Warteliste gibt es nicht“, sagt Reichl-Roßbacher, „wir entscheiden nach Kriterien, nicht nach Einsendedatum“. Im Vorjahr wurden in der Bundeshauptstadt 17 Adoptionen entschieden, 2014 waren es 24.

Ab der Aufnahme in den Pool hieß es für Franziska und Viktor warten – bis am 27. August 2015 das Handy läutete. Ein Junge warte auf sie, teilte ihnen ihre Sozialarbeiterin mit. „Es war Adrenalin pur“, sagt Viktor. Zwei Stunden nach dem Telefonat fand sich das Paar im Spital ein und konnte seinen zukünftigen Sohn kennenlernen. Dann ging es nach Hause – vorerst ohne Kind. „Unser Plan für den Tag X trat in Kraft: Umgehend wurde das Kinderzimmer eingerichtet – bis dahin hatten wir die Möbel im Keller, Tragetaschen und Fläschchen bei Freunden untergestellt“, ergänzt Franziska. Am nächsten Morgen führte der Weg wieder in Richtung Spital, als abermals das Handy klingelte. Eine Absage. Die leibliche Mutter hatte sich entschlossen, das Baby zu behalten. „Wir konnten nur wenden und den Reset-Knopf drücken“, so die 31-Jährige. Eine psychologische Betreuung lehnten sie ab. „Es war ein surrealer Tag. Wir waren niedergeschlagen, doch unser Optimismus war nicht gebrochen.“

Treffen mit der Bauchmama.
Die nächste Chance auf Nachwuchs tat sich ein halbes Jahr später auf. Am 4. Februar 2016 meldete sich die zuständige Sozialarbeiterin erneut: Ein drei Tage altes Mädchen sei zur Adoption freigegeben worden. Tags darauf konnten Franziska und Viktor ihre Annika (Name geändert) im Spital besuchen – und mitnehmen. Auf das Elternglück folgte die Bürokratie: „Wir eilten zum Referat für Adoptiv- und Pflegekinder“, sagt Viktor. Dort wurde ihnen eine amtliche Bestätigung ausgestellt: „Man ermächtigte uns der unentgeltlichen Pflege und Erziehung des Mädchens.“

Das gerade beginnende Wochenende stand ganz im Zeichen der Familienvorstellung: Die Eltern und Geschwister des Paares kamen zu Besuch, die Nichten bestaunten den Nachwuchs. Bis der Montag alles veränderte. Abermals hatte es sich die Bauchmama anders überlegt und forderte ihr Kind zurück. „Es war wie ein Schlag ins Gesicht“, sagt Franziska. Schweren Herzens brachten sie das Mädchen zurück. „Die Begegnung mit der leiblichen Mutter hat uns geholfen zu akzeptieren, dass unsere Kleine bei ihr gut aufgehoben ist“, so die Kurzzeiteltern, denen nun erneut nur das Warten bleibt – auf Kind Nummer drei. Mittlerweile hat sich die Trauer gelegt, das Gefühl der Hilflosigkeit aber ist geblieben. „Am schlimmsten war, als eine unserer Nichten fragte, ob sie auch einmal weg sein würde, so wie Annika“, erzählt Viktor, der sich eine Verkürzung des Widerrufszeitraums wünscht.

Juristisch vorgehen kann das Paar gegen den Widerruf nicht. „Im Gegensatz zur deutschen Rechtslage setzt eine Adoption in Österreich grundsätzlich keine gesetzlich vorgeschriebene Pflegezeit voraus. Es ist jedoch gängige Praxis, den Adoptionsvertrag frühestens nach sechs Monaten abzuschließen“, sagt Monika Hinteregger, Professorin am Institut für Zivilrecht der Universität Graz. Vor Vertragsabschluss können die leiblichen Eltern das Kind jederzeit zurückfordern. „Eine Angabe von Gründen ist nicht erforderlich.“ Das garantiere auch das Recht auf Privat- und Familienleben, das in Art 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention und damit auch in der Bundesverfassung gesichert ist. Zudem bietet die Probephase den Sozialarbeitern die Möglichkeit zu prüfen, wie Adoptiveltern und Kind interagieren. „Es ist Voraussetzung für eine Adoption, dass eine dem Verhältnis zwischen leiblichen Eltern und Kindern entsprechende Beziehung besteht oder hergestellt werden soll“, sagt Hinteregger. Erst, wenn sichergestellt ist, dass die Familie zurechtkommt, wird die gerichtliche Bewilligung erteilt und die Adoption rechtskräftig.

„Die Praxis zeigt, dass dieser Zeitraum nicht verkürzt werden sollte“, sagt Reichl-Roßbacher. „Die Familie braucht Zeit, um zusammenzuwachsen, auf der anderen Seite sollten die leiblichen Mütter das Recht haben, Entscheidungen, die sie womöglich aus Verzweiflung getroffen haben, zu revidieren.“ Ebenfalls für die Beibehaltung der gängigen sechs Monate spricht sich die Psychologin Maria Eberstaller vom Efkö aus. „Eine drastische Verkürzung könnte durchaus tragische Situationen ergeben“, warnt sie. „Das Kind hat ein Recht darauf, bei seinen leiblichen Eltern aufzuwachsen, sofern das für diese möglich und sein Wohl gewährleistet ist.“

Das Kind an erster Stelle. Es käme vor, dass Mütter durch eine Geburt überfordert seien, etwa weil sie sehr jung sind oder keine Unterstützung von ihrem sozialen Umfeld erhalten. „Oftmals liegt eine psychische Erkrankung vor“, sagt Eberstaller. „Mit der Zeit kann sich aber ein Familienmitglied finden, das das Kind übernimmt.“ In solchen Fällen kommt es zu einer Prüfung durch das Jugendamt. „Ist alles in Ordnung, kann das Kind zurück. An erster Stelle stehen die Rechte des Kindes, nicht die Adoptiveltern“, fügt sie hinzu. Freilich könne sie deren „Zittern“ verstehen, doch dürfe man nicht vergessen, „dass auch zwischen den Adoptiveltern und dem Kind eine Beziehung reifen muss – und das dauert länger als drei Wochen“. Drei Wochen, so heißt es aus der MA11, sei der Zeitraum, in dem Widerrufe erfolgen.

Familienrechtexperte Markus Huber von der Volksanwaltschaft sieht bei einer Verkürzung der Probezeit ebenfalls nicht viel gewonnen: „Auch dann schmerzt die Trennung vom Kind.“ Keine Zeit zu haben, also das Gericht anzuweisen, sofort die Adoptionsbewilligung zu erteilen, sei wiederum „mit Blick auf die leibliche Mutter zu hart“. Überlegenswert wäre im Zuge einer Gesetzesreform einen Zeitraum festzulegen, in dem der Adoptionsvertrag aufgesetzt und bewilligt werden muss. Das würde den Adoptiveltern die Zeit der Ungewissheit zwar nicht nehmen, doch dafür sorgen, dass etwa die sechs Monate nicht überschritten werden dürfen. Für die Doch-Nicht-Adoptiveltern ist das freilich ein schwacher Trost.

Adoption in Zahlen

96 Inlandsadoptionen wurden laut Familienministerium 2014 in Österreich durchgeführt, die meisten Kinder (25) wurden in Wien vermittelt. Für 2015 liegen noch keine bundesweiten Zahlen vor.

46 der 96 Vermittlungen stellten eine Inkognitoadoption dar.

43 anonyme Geburten wurden 2014 registriert, die meisten davon gab es in der Steiermark (elf), gefolgt von Wien (neun) und Oberösterreich (acht).

Zwei bis drei Jahre wartet man im Durchschnitt auf ein Adoptivkind. Das Mindestalter für Adoptiveltern ist 25 Jahre, das Höchstalter variiert in den Ländern. In Wien liegt es bei 45 Jahren.

Mit nur einer Adoptionsvermittlung im Vorjahr bildet Vorarlberg 2014 das Schlusslicht, im Burgenland gab es zwei.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.05.2016)

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