Der Graben durch Österreich wird bleiben

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Für Bundeskanzler Christian Kern zeigt das Ergebnis der Präsidentenwahl: Es wird noch schwieriger als gedacht, Österreich zu regieren.

Ginge es nicht um das kleine Österreich und die dann doch überschaubare Macht des Präsidentenamts, man könnte eine Parallele zwischen diesem Wahlsonntag und der Too-Close-to-Call-Abstimmung zwischen George W. Bush und Al Gore ziehen. In Österreich haben die Freiheitlichen sogar rechtliche Bedenken über das mögliche Wahlkartenergebnis, das am Montag wohl endgültig vorliegen wird.

Nichtsdestoweniger gibt es einige klare Aussagen und Implikationen dieses Wahlsonntags: Während Van der Bellen von einer bunten Koalition von Prominenten und Vertretern mehrerer Parteien unterstützt wurde, steht hinter Hofer nur die FPÖ. Noch nie haben so viele Wähler einem FPÖ-Politiker die Stimme gegeben. Noch nie war der Zorn so vieler über Regierung und System so groß. Noch nie wollten so viele Wähler einen FPÖ-Kandidaten in eine bundespolitische Spitzenposition heben. Das alte Argument, wer FPÖ wähle, stimme für den Protest, denn in eine Regierung käme sie ohnehin nicht, ist Geschichte. Knapp oder mehr als die Hälfte will eine blaue Hofburg und einen Mann, der klar gesagt hat, gegebenenfalls auch Regierungen abzuberufen.

Der neue Präsident, egal, ob er Alexander Van der Bellen oder Norbert Hofer heißt, hat eine gesellschaftspolitische Herkules-Aufgabe vor sich: Er muss versuchen, den großen Graben durch Österreich zu erkennen und Brücken zu bauen. Ganz zuschütten wird er ihn nicht können. Aber ein Schritt wäre, den Wählern von Norbert Hofer vonseiten der Regierung auf Augenhöhe zu begegnen. Das heißt eben nicht, sich vor laufende Kameras zu stellen und darüber zu schwadronieren, die Ängste und Sorgen der Bürger ernster zu nehmen. Besser wäre es, alles dazu beizutragen, dass es erst gar keine Ängste und Sorgen gibt. Dass dringend Maßnahmen gesetzt werden müssen, die das subjektive und idealerweise auch das objektive Sicherheitsgefühl im Land wieder steigern. Dass die Arbeitslosigkeit abnimmt, dass die EU in ihrer Notwendigkeit besser erklärt wird. Dass nicht so viele Menschen das Gefühl haben, mehr ins System einzuzahlen als sie herausbekommen.

Im Idealfall gelingt mit Neo-Kanzler Christian Kern und Vizekanzler Reinhold Mitterlehner auch ein Neuanfang mit einer positiveren Grundstimmung. Genau das ist aber definitiv nur möglich, wenn die Herren mit dem Bundespräsidenten diese Beinahe-Hälfte an Hofer-Wählern irgendwie abholen und mitnehmen können. Sie als ungebildeter als die Van-der-Bellen-Wähler oder provinzieller zu diffamieren, wäre ein ganz schwerer Fehler, der automatisch Platz eins für die FPÖ bei der nächsten Nationalratswahl generieren würde.

Dafür müssen Regierung und Sozialpartner die Komplexität mancher politischer (Nicht-)Entscheidungen, wie die Asylpolitik oder Industriepolitik, besser erklären. Und vielleicht wäre ein Motto für alle Beteiligten, die Norbert Hofer so gern mit „Schickeria“ und dem „System“ gleichsetzte: Angesichts realer Einkommensverluste, massiver Probleme auf dem Arbeitsmarkt und dem Immobilienmarkt, angesichts eines allgemeinen Gefühls, dass der Wohlstand möglicherweise eher sinkt denn zunimmt, ist Bescheidenheit ein guter Zugang.

Ein „Economist“-Kolumnist war vergangene Woche in Wien und fragte, warum so viele Österreicher FPÖ wählen würden, wenn doch im Land alles so proper, wohlhabend und sicher wirke. Die Antwort darauf war simpel: Erstens fürchten die Menschen, dass das nicht mehr lang so geht. Zweitens leben die Österreicher nicht im Vergleich – wählen also nicht begeistert die Regierungsparteien, da es in anderen Ländern laut Statistiken und Berichten viel schlimmer zugehe. Und drittens sind wir tatsächlich eine etwas saturierte Gesellschaft geworden, die wahre Probleme verdrängt und übersieht, andererseits keinen Millimeter Verzicht bei Reformen oder Veränderungen akzeptiert. Es war schon viel gemütlicher in der Wiener Hofburg.

E-Mails an: rainer.nowak@diepresse.com

(Print-Ausgabe, 23.05.2016)

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