Der grüne Präsident, der den 13A warten ließ

APA/AFP/DIETER NAGL
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Als designierter Präsident absolvierte Alexander Van der Bellen seinen ersten Auftritt im Palais Schönburg, dem früheren Wunschdomizil Thomas Klestils.

Der 13A-Bus, der Chauffeur und seine Passagiere mussten auf dem Weg zum Hauptbahnhof eine minutenlange Wartezeit in Kauf nehmen - und schuld daran war ausgerechnet ein Grüner, der unvermittelt den Verkehr blockiert hatte. Vor dem Eingang zum Palais Schönburg in der kurzfristig abgesperrten Rainergasse im vierten Bezirk mischte sich Alexander Van der Bellen nach seiner ersten Erklärung als designierter Präsident unter dem Applaus und dem Jubel der Zaungäste doch noch unter die Menge, um ein kleines Bad in der Öffentlichkeit zu nehmen - zögerlich, lächelnd, schmunzelnd und zaghaft winkend, wie es eben seine Art ist. So verhalten kostete der ironiebegabte Tiroler Universitätsprofessor und Ex-Parteichef der Grünen seinen Triumph nach dem Herzschlagfinale bei der Präsidentenwahl am Montagabend aus.

Eine Menschentraube hatte sich um ihn geschart, er selbst war von Personenschützern umringt – erste Insignien des neuen Amts, das er allerdings erst in sechs Wochen antreten wird. TV-Kameras verfolgten ihn, und Handys waren in die Höhe gestreckt, um ein Foto zu erhaschen von dem historischen Moment - dem ersten Auftritt eines grünen Bundespräsidenten und somit eine Premiere in der Zweiten Republik.

"Bewegte Stunden"

Rund eine Stunde nach der Verkündung des vorläufigen offiziellen Amtsergebnisses, nach einem Auszählungskrimi, der seinesgleichen sucht in der jüngeren Geschichte Österreichs, folgte sein erstes Statement einer geschickten medialen Inszenierung. Der 72-Jährige präsentierte sich im Park des Barockpalais, das einst Thomas Klestil gerne zum Bundespräsidenten-Domizil erkoren hätte, betont präsidentiell und staatsmännisch. Vor einem Pult im rot-weiß-roten Logo und vor dem Hintergrund einer wehenden Österreich-Fahne und dem vom Wind aufgebauschten EU-Sternenbanner kündigte er nach den Strapazen, Härten und Bandagen des Wahlkampfs in guter Tradition an, als Präsident überparteilich agieren zu wollen und seine Mitgliedschaft bei den Grünen umgehend niederzulegen.

„Österreich hat bewegte Stunden hinter sich, die niemand unberührt gelassen haben." Van der Bellen sprach die große Verantwortung an, die nun auf seinen Schultern lastet - auch die Verantwortung auf das andere Lager zuzugehen. „Es wurde viel über die aufgerissenen Gräben geschrieben. Ich möchte das nicht dramatisieren. Doch im Wahlkampf war viel von Trennlinien die Rede, von den zwei Hälften, die Österreich ausmachen. Die eine Hälfte ist so wichtig, so viel wert wie die andere. Gemeinsam ergeben sie das schöne Österreich." Ein Sonntagsprediger hätte es nicht besser formulieren können.

Polarisierung und Politisierung

An das gegnerische Lager richtete er eine Einladung zur Aussöhnung. Er zollte Norbert Hofer seinen Respekt und gratulierte ihm zu dessen engagierten Wahlkampf. Es sei ein gutes Zeichen gewesen, dass die Menschen während des Wahlkampfs quer durch alle Schichten und durch Familien miteinander geredet und auch gestritten hätten, merkte Van der Bellen durchaus positiv an.. „Das Augenmerk lag nicht nur auf der Polarisierung, sondern auch auf der Pollitisierung“, hob er hervor. „Wir werden eine andere Gesprächskultur brauchen, die auch die Sorgen, Ängste und den Zorn der Menschen ernst nimmt. Ich habe diese ganze Unterschiedlichkeit in meiner Kindheit im Kaunertal kennengelernt.“ Die Tiroler Heimat dient dem neuen Präsidenten als Kraftquelle und Inspiration.

Sein Amtsverständnis werde von Behutsamkeit und Bedachtsamkeit geprägt werden, versprach er - und das überrascht niemanden, der Van der Bellen auch nur ein wenig kennt. Sein langjähriger Parlamentskollege Karl Öllinger bezeichnete das erste Statement des designierten Präsidenten als ein Angebot an die Gegenseite. "Ich versuche, das Vertrauen der Hofer-Wähler zu gewinnen", erklärte Van der Bellen denn auch vor der internationalen Presse, die er eingangs auf Englisch mit einem „Warm welcome" begrüßt hatte. „Ich werde dem Land dienen", sagte er und fügte sich so in eine Tradition ein, die von Karl Renner in direkter Linie zu Heinz Fischer führt.

"Der HBP ist unser"

Keine Viertelstunde dauerte die Ansprache, Fragen beantwortete Van der Bellen bewusst nicht - so sehr die Journalisten sich auch abmühten, ihm im Abgang eine Antwort herauszupressen. Ein RAI-Kommentator fuchtelte aufgeregt mit dem Mikrofon herum, während Van der Bellen einzelne Journalisten mit einem Handshake "adelte" - zumindest schlug er deren ausgestreckte Hand nicht aus. Einer umarmte ihn gar in emotionaler Aufwallung.

Mitarbeiter des grünen Klubs hatten einander zuvor im Areal des Parks beglückwünscht, sie waren einander in die Arme gefallen und hatten ausgelassen gescherzt: „Der HBP ist unser.“ Eine rief enthusiasmiert aus: „Ist das geil – oder ist das geil?“ Und einer feixte: „I bin's, dei Präsident.“ Wahlkampfmanager Lothar Lockl iwar derweil immer noch unermüdlich im Einsatz, mit großer Geduld beantwortete er die Fragen der ausländischen TV-Reporter. Er freue sich endlich aufs Ausschlafen, sagte er. Doch die Nacht werde wohl wieder sehr kurz werden, der Terminkalender sei prall gefüllt, vollgestopft mit Interviewanfragen internationaler Medien. Und schon heute Mittag hat Heinz Fischer seinen Nachfolger zu einer Plauderstunde über die Modalitäten der Amtsübergabe und zum Philosophieren über die politische Rolle des Staatsoberhaupts in die Hofburg gebeten.

Hippe Party-Location und Filmkulisse

Karl Öllinger wollte den Augenblick im Palais Schönburg nicht verpassen. Der Grün-Abgeordnete wohnt ganz in der Nähe. „Ich habe schon gestern Abend an den Sieg geglaubt.“ Dass sein Freund seine Sache gut machen werde, davon ist Öllinger mindestens so überzeugt wie Lockl. Auch der Wiener Stadtrat Andreas Mailath-Pokorny ist eigens aus dem Rathaus herbeigeeilt.

Mitarbeiter der Wirtschaftskammer haben sich nach Dienstschluss vor den Eisengittern und den steinernen Sphynx-Figuren des barocken Nobelpalais eingefunden, das als hippe Party-Location dient, als Filmkulisse für die Serie „Vorstadtweiber“, als Rahmen für Hochzeiten und andere Festivitäten - und als Ort der Wahlparty Van der Bellens nach dem ersten Durchgang, die dann ein wenig schaumgebremst ausfiel.

Livestream im TU-Hörsaal

Mehrere TU-Studenten hatten den Nachmittag über den Wahl-Thriller per Online-Live-Ticker und via ORF-Livestream im Hörsaal verfolgt. „Es ist so ein schöner Tag, da mussten wir einfach herkommen“, sagt einer in heiterer Stimmung. Mehr als ein hundert Anhänger haben sich als "Jubelperser" vor dem Tor versammelt und Anrainer aus dem vierten Bezirk wie der Familienvater mit seiner Tochter auf dem Roller.

„Es ist ein Glück, dass es so ausgegangen ist“, sagt eine Frau, die sich als Feministin und Zwentendorf-Veteranin charakterisiert. „Die Vernunft hat gesiegt“, kommentiert einer das Wahlergebnis. „Jetzt wird wieder Ruhe einkehren im Land, und nächste Woche fragt niemand mehr, wie knapp der Vorsprung gewesen ist.“ Ein Pensionist gibt indes zu bedenken: „Es ist so wichtig, dass die FPÖ nicht gewonnen hat. Aber jetzt muss man sich auch um die anderen 50 Prozent kümmern, denn das sind ja nicht alle Nazis.“

Wahlparty mit 24-stündiger Verspätung

Applaus brandet auf, als der frisch gewählte Präsident schließlich das Palais im Konvoi der Staatspolizei verlässt, er selbst im Übrigen im Wahlkampfbus, auf dem sein Konterfei prangt. Während sich Alexander Van der Bellen auf den Weg zum ersten ORF-Interview auf den Küniglberg macht, brechen seine Anhänger in die Innenstadt auf, zur Hofburg und ins Museumsquartier – zu einer inoffiziell verabredeten Wahlparty mit 24-stündiger Verspätung, nach einer Nacht des Bangens und einem Tag des Hoffens, an dem die Zuversicht von Stunde zu Stunde stieg, bis der Innenminister der Ungewissheit ein Ende bereitete und die eine Hälfte des Landes erleichtert aufatmete und die andere in Depression versank. Die Passagiere im 13 A wurden indessen Zeugen einer ersten Verwandluing eines Professors, eines spät berufenen Politikers und Präsidentschaftskandidaten.

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