Ohne familiäre Erfahrungen neige Tsai Ing-wen zur Emotionalität und Extreme, schrieb ein chinesischer Beamter. Tsai geht politisch auf Distanz zu China.
Taiwan und China hatten keinen guten Start, seitdem Tsai Ing-wen vergangenen Freitag als neue Präsidentin des Inselstaates vereidigt worden war. Denn die Politikerin der Fortschrittspartei (DDP) geht auf Distanz zu China. Peking fürchtet, dass sie die formale Unabhängigkeit Taiwans vorantreiben könnte.
Schon seit ihrem Erdrutschsieg gegen die chinafreundliche Guomindang im Jänner hagelte es Angriffe auf die 59-Jährige. Doch ein am Dienstag veröffentlichter Kommentar übertraf alle bisherigen Anfeindungen: Ein chinesischer Beamter zog Verbindungen zwischen den politischen Ansichten Tsais und ihrem Single-Leben. "Als eine alleinstehende Politikerin kennt sie keine emotionalen Bürden durch Liebe, Familie oder Kinder. Also neigen ihr politischer Stil und ihre Strategie dazu, emotional, persönlich und radikal zu sein", schrieb Wang Weixing, ein Mitglied "Chinas Assoziation für die Beziehungen über die Taiwan-Straße" (ARATS). Eine Vereinigung also, die für die Annäherung an die Republik zuständig ist.
Artikel auf Xinhua nicht mehr zugänglich
"In unserem Umgang mit Tsai Ing-wen müssen wir stets wichtige Faktoren wie ihre Erfahrungen, ihre Persönlichkeit und ihre Charaktereigenschaften beachten", hieß es weiter im "International Herald Leader", einem Tochterunternehmen der staatlichen Nachrichtenagentur Xinhua. Der Artikel wurde mittlerweile von der Xinhua-Homepage entfernt und ist offenbar auch in anderen Nachrichtenportalen nicht mehr zugänglich.
Alex Huang, ein Sprecher Tsais, sagte gegenüber BBC, man wolle den Artikel nicht kommentieren. Auch der Autor selbst und ARATS seien nicht für Stellungnahmen zu erreichen gewesen, berichtet das Wall Street Journal. Im Internet aber löste das Meinungsstück eine Welle der Empörung aus. Das Single-Dasein der Präsidentin zu überhöhen sei verachtenswert, schrieb etwa ein Kritiker auf Sina, einem populären Nachrichtenportal. "Wie können Sie ihr Privatleben angreifen!", polterte ein User auf Weibo, der chinesischen Twitter-Version. "Chauvinistisches Schwein", schrieb ein anderer.
Vielen Taiwanesen geht Annäherung zu schnell
Bei ihrer Antrittsrede vergangene Woche ließ Tsai eine weitaus chinakritischere Haltung als ihr Vorgänger Ma Ying-jeou erkennen. Beide Seiten müssten die "Lasten der Geschichte" beiseite räumen und Gespräche über die Zukunft führen. Mas Partei erlebte bei den Wahlen im Jänner die schwerste Niederlage ihrer Geschichte, weil vielen Taiwanesen die Annäherung der Regierungspartei an China, das noch immer Raketen auf die Inselrepublik ausgerichtet hat, zu schnell ging.
In den vergangenen Jahre haben beide Länder zahlreiche neue Abkommen geschlossen. Erstmals seit die Kommunisten in Peking 1949 die Macht übernommen haben und die unterlegenen Nationalchinesen sich auf die Insel Taiwan geflüchtet hatten, trafen sich mit Ma Ying-jeou und Xi Jinping im November sogar wieder Führer beider Länder.
Das erste weibliche Staatsoberhaupt versprach, die Probleme des Landes "Schritt für Schritt" lösen zu wollen. Die wirtschaftliche Abhängigkeit vom Festland soll reduziert werden, dafür will die Präsidentin auf neue Bündnisse mit Indien und anderen Staaten in Südostasiens setzen.
(maka/APA)