„Lehrlinge können doch noch gar nichts“

Checkliste. Es kostet viel Zeit und Geduld, Lehrlinge zu vollwertigen Arbeitskräften auszubilden. Kein Grund, ein schlechtes Gewissen zu haben. Auf lange Sicht lohnt sich der Aufwand – für beide Seiten.

Vorlage auf die Platte legen, Knopf drücken, fertig. Mehr durfte Lisa Koczi, Reprographie-Lehrling bei FBDS Druck in der Brünner Straße in Wien, in ihrer ersten Woche nicht machen. Mehr hätte sie auch nicht gekonnt. Vielleicht noch Papier nachfüllen.

Matthias Schmid, ihr Filialleiter und Ausbilder, ließ sie die ersten paar Tage einfach mitlaufen. Bei allem, was er tat, durfte sie ihm über die Schulter schauen. Immer wieder fragte er nach, ob ihr die Arbeit gefalle, ob sie sich den Beruf längerfristig vorstellen könne. Vier oder fünf Lehrlinge habe er auf diese Weise schon ausgebildet, erzählt er. Und ja, gelegentlich springe einer wieder ab.

Manchmal, weil er kein Talent im Umgang mit Kunden zeigte. Weil er nicht grüßte, nicht vom Sessel aufstand, wenn ein Kunde den Shop betrat, oder duzte, wenn ein Sie angemessen war. Jene, die blieben, begriffen das schnell.

Schritt für Schritt

Vorlagen auf die Platte zu legen, damit gibt sich Lehrling Lisa Koczi heute nicht mehr zufrieden. Scheibchenweise wurde die junge Serbin, die im letzten Lehrjahr ist, eingeführt. Den Kopierer bedient sie inzwischen virtuos. Längst weiß sie, wie man Ausdrucke optimiert, heller, dunkler, doppelseitig druckt. Der nächste Schritt war, Visitenkartentexte sauber abzutippen. Heute darf sie schon Lieferscheine und Rechnungen schreiben, und sogar die heiklen E-Mails an die Großkunden. „Sie wächst hinein“, sagt ihr Filialleiter voller Stolz.

Weil ich es will

Mit 15 oder 16 Jahren kann man noch nicht viel können. Nicht gar nichts, wie der Titel dieses Artikels impliziert, aber noch keine vollwertige Arbeitskraft, wenngleich auf dem Weg dorthin. Daher ist Lisa Koczis Geschichte eine Fundgrube an Informationen.

  • Ziel der ersten Woche ist herauszufinden, ob der Beruf zu mir passt. Macht er mir Spaß?
  • Es ist eine bewusste Entscheidung zu beschließen: Das interessiert mich jetzt, das will ich weitermachen. Es wird Erfolgserlebnisse geben, aber auch Tiefschläge. Es liegt an mir, das Beste daraus zu machen.
  • Es hilft, sich Etappenziele zu setzen. In diesem Fall etwa, in dieser Woche den Kopierer komplett zu verstehen, in der nächsten das Visitenkartenprogramm. Und immer so weiter.
  • In fast jedem Beruf hat man heute mit Kunden zu tun. Selbst wenn ich nicht bei diesem Arbeitgeber bleibe, muss ich wissen, wie ich mit ihnen umgehe. Je eher, desto besser.
  • Mein Ausbilder will mir etwas beibringen. Es liegt an mir, es anzunehmen. Das ist manchmal anstrengend, hilft mir aber auf jeden Fall weiter. Irgendwann werde ich es brauchen.
  • Und über allem steht: Ich will lernen und wachsen.

Auch wenn Lehrlinge zu Beginn noch wenig leisten können: Als Fach- und Führungskräfte von morgen sind sie für die Unternehmen überlebenswichtig. Das lässt sich gut am Beispiel der Ottakringer Brauerei erklären. „In unserer Branche wechselt man selten“, erzählt Braumeister Franz Laaber. So mancher bleibt ein Leben lang in der Brauerei, in der er einst gelernt hat.

Daher rechnet sich der gewaltige Aufwand, der dort in den Nachwuchs gesteckt wird: „Nur wenn wir unseren Lehrlingen von Anfang an beibringen, wie wichtig Qualität, Sauberkeit und Ordnung sind, haben wir in Zukunft die richtigen Leute an der Hand“, ist Laaber überzeugt.

Kollegen auf Lebenszeit

Elegant spricht er die spezielle Schwachstelle der Generationen Y und Z an: „Bei Pünktlichkeit und Verlässlichkeit gibt es manchmal Spannungen.“ Anders gesagt: Lehrlinge verschlafen gern. Immer wieder besänftige er ältere Kollegen, erzählt Laaber, die härter durchgreifen wollen: „Die jungen Leute stecken ja noch mitten in ihrer Entwicklung.“ Deshalb greift er in der Früh auch manchmal selbst zum Hörer, um einzelne Schützlinge aufzuwecken.

So viel Zusatzaufwand steht sicher nicht in seiner Stellenbeschreibung. Uneigennützig ist er trotzdem nicht: „Wir haben flache Hierarchien. Sind die Lehrlinge erst einmal ausgelernt, sind sie meine Kollegen. Auf Lebenszeit. Je früher sie also verstehen, was uns wichtig ist, desto früher kann ich mich auf sie verlassen.“

(Print-Ausgabe, 28.05.2016)

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