Streit um Explosivstoff in der Hand von Laien

Symbolbild Feuerwerk
Symbolbild Feuerwerk(c) Erwin Wodicka - BilderBox.com (Erwin Wodicka - BilderBox.com)
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Die EU-Kommission wirft Deutschland vor, den freien Warenverkehr mit erlaubten Feuerwerkskörpern zu beschränken: Vor dem EuGH prallen die Standpunkte aufeinander.

Im achten Stock des „Palais“, des Herzstücks des weitläufigen Gebäudekomplexes des Gerichtshofs der Europäischen Union, steht heute Vormittag ein wahrhaft explosiver Stoff auf der Tagesordnung: Es geht um pyrotechnische Gegenstände und darum, wie Deutschland mit Feuerwerkskörpern aus anderen Mitgliedstaaten verfährt. Die EU-Kommission wirft dem größten Mitgliedsland vor, den freien Warenverkehr mit erlaubten pyrotechnischen Gegenständen zu beschränken. Und beim freien Warenverkehr, einem der Grundprinzipien des Binnenmarkts, versteht Brüssel keinen Spaß.

„Der Umgang mit Sprengstoff erfordert besondere Vorsicht, das weiß jedes Kind“, sagt Anne Becker, die im Verhandlungssaal II vor der Dritten Kammer den Standpunkt der Kommission vertritt. Sie spricht hinter einem Pult stehend zu fünf Richtern und zum Generalanwalt, die auf dem Podium Platz genommen haben. Die Mitglieder des Gerichts, die Parteienvertreter und sieben Dolmetscher, die hinter großen Glasscheiben an den Seitenwänden des Saals sitzen, bilden ganz klar die Mehrheit der heute Anwesenden: Nur ein halbes Dutzend Zuseher ist gekommen, fast durchwegs Mitarbeiter des Gerichts und eine Richterin aus der Slowakei, die ein Praktikum beim EuGH absolviert.

„Es mangelt Deutschland an Vertrauen“

„Die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten“, so fährt Kommissionsmitarbeiterin Becker fort, „sollen genau hingucken.“ Erforderlich sei aber ein gegenseitiges Vertrauen zwischen den Mitgliedstaaten. „Und an diesem Vertrauen scheint es der Beklagten etwas zu mangeln“, sagt Becker. Die Bundesrepublik würde als einziger Mitgliedstaat die Konformität pyrotechnischer Gegenstände nochmals selbst überprüfen, nachdem sie bereits in einem anderen EU-Staat zugelassen worden seien und bevor sie in Deutschland in Verkehr gebracht werden dürften.

„Frau Becker, sprechen Sie bitte ein kleines bisschen langsamer“, wirft Lars Bay Larsen, der dänische Vorsitzende der Dritten Kammer, ein. Larsen sagt es in der Verhandlungssprache Deutsch, denkt aber offenbar an die Dolmetscher, die bei Beckers hohem Tempo nur schwer mitkommen. Sie geben sich offenbar Mühe, sehr genau zu übersetzen: Ein Dolmetscher deutet, als säße ein Zuhörer direkt ihm gegenüber, mit beiden Händen eine horizontale Linie in der Luft an, während er von einer Schwelle spricht.

Johannes Möller, ein bis zwei Köpfe größer als die zierliche Becker und überhaupt von imposanter Erscheinung, legt für das deutsche Wirtschaftsministerium dar, warum sein Land das explosive Material nochmals prüft, bevor es dieses für den Markt zulässt. Es liege an den Mitgliedstaaten, die Regeln festzulegen und etwa zu bestimmen, ab welchem Alter und unter welchen Voraussetzungen mit Feuerwerkskörpern der verschiedenen Klassen jenseits einfacher Knallerbsen hantiert werden dürfe. Die zweitharmloseste Klasse, F2, etwa darf unionsweit nicht an Personen unter 16 Jahren verkauft werden, doch die Mitgliedstaaten könnten die Altersgrenze anheben. In Deutschland liegt das Mindestalter bei 18 Jahren.

Ohne Regeln drohen schwere Unfälle

Das hätte ebenso auf der Verpackung zu stehen, wie eine Anleitung über den sicheren Umgang mit den Feuerwerkskörpern mitgeliefert werden müsse. „Schwere Unfälle passieren vor allem dann, wenn die Vorschriften über den Umgang missachtet werden“, warnt Möller. Anders als mit einer Vorabkontrolle sei die nötige Information der Verbraucher aber nicht zu gewährleisten. In Deutschland werden immer zum Jahreswechsel an drei Werktagen bei mehr als 100.000 Verkaufsstellen Raketen und Knallkörper verkauft. Man könne, sagt Möller, nicht Myriaden von Kontrollbeamten in alle Supermärkte schicken.

Während einer der beisitzenden Richter kaum je von seinen Akten aufblickt und der Senatsvorsitzende die Verhandlung zwar aufmerksam, aber meist schweigend verfolgt, schalten sich Berichterstatter Michail Vilaras (Grieche, auf Französisch) und Generalanwalt Michal Bobek (Tscheche, auf Englisch) intensiv ein: Wer sonst außer dem Mitgliedstaat könne denn prüfen, ob nicht harmonisierte Regeln eingehalten werden, fragt etwa Bobek die Kommissionsvertreterin. Becker räumt ein, dass die EU-Staaten das machen müssen, „aber nicht mit einer pauschalen Prüfung, die alle Produkte unter Generalverdacht stellt“.

Möller bezweifelt, dass Stichproben die nötige Sicherheit böten: „Es geht nicht um leckere Süßigkeiten, sondern um Explosivstoffe, die in die Hände von Laien geraten!“ Nach knapp zwei Stunden schließt Vorsitzender Larsen die Verhandlung. Zuvor hat er noch Generalanwalt Bobek gefragt, wie er weiter vorgehen wolle. Er werde, hat Bobek gesagt, seine Schlussanträge am 7. Juli präsentieren. Und ein paar Wochen bis Monate später werden die Richter ihr Urteil fällen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.05.2016)

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