"Ein Disneyland für Juristen"

Max Schrems
Max SchremsAPA/GEORG HOCHMUTH
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Max Schrems, der David aus Österreich, der Goliath Facebook besiegt hat, über seine Erfahrungen mit EuGH und Großer Kammer.

Die Presse: Sie haben sich im Datenschutzstreit gegen Facebook vor dem EU-Gerichtshof durchgesetzt. Seither sind Sie einer der wenigen Österreicher, nach denen EuGH-Urteile benannt sind. Wie fühlt man sich als Namensgeber des „Urteils Schrems“?

Max Schrems: Ich fühle mich da relativ komisch. Ich nenne die Entscheidung immer „C-362/14“ oder „Safe-Harbor-Urteil“.

Warum?

Mir ist das einfach zu persönlich. In den Datenschutzkonferenzen nennen sie die Zeit nach dem Urteil auf Englisch „post Schrems“, also „nach Schrems“. Da stehst du im Raum und denkst dir: Ich lebe ja noch, es kann gar nicht „post Schrems“ sein.

Welche Resonanz haben Sie sonst noch im Ausland gefunden? Zum Teil sind Sie ja als David, der Goliath besiegt hat, gefeiert worden.

Ja. Entweder besonders gefeiert, oder es war eher von Weltuntergang die Rede – je nachdem, auf welcher Seite man in dieser Sache stand. Was man auch gesehen hat, war, dass die Debatte über das Urteil auch in Richtung USA ausgestrahlt hat, seit es in Europa Schlagzeilen gemacht hat. Außerdem zitieren Gerichte in den Mitgliedstaaten das Urteil und verwenden es für ihre Rechtsprechung.

Und Sie selbst? Wurden Sie viel zu Tagungen und Vorträgen eingeladen?

Ja, schon relativ heftig. Das war die direkte Folge. Lustig ist, dass es oft hieß: „Könnten Sie Ihre Anwälte schicken?“ Ich habe dann gesagt: „Ich habe das im Großen und Ganzen ohnehin selbst gemacht; ich wüsste nicht, wen ich Ihnen schicken soll, der Ihnen viel mehr sagen kann.“ Es ist allerdings ein bisschen schwierig, über seinen eigenen Fall zu sprechen, weil man da natürlich seine eigene Sichtweise hat. Da steht die Neutralität schon infrage. Bei einem abgeschlossenen Verfahren tut man sich aber leichter, denn da kann man auch die Gegenargumente gut ausbreiten.

Was war Ihr erster direkter Kontakt zum EuGH?

Vor der mündlichen Verhandlung im März 2015 haben wir schriftlich eine Reihe von Fragen bekommen. Das war sehr interessant, weil man damit wusste, womit sich die Richter auseinandersetzen. Vor allem auch, ob sie versuchen, die Überwachungsthematik zu umschiffen. Mit den Fragen war klar, dass sie wirklich in die Tiefe gehen wollten.

Sie waren zweimal beim EuGH: bei der mündlichen Verhandlung und bei der Verkündung des Urteils.

Genau.

Wie haben Sie die Verhandlung erlebt? Das Verfahren beruht schon wegen der erforderlichen Übersetzungen stark auf Schriftlichkeit.

Die Mitgliedstaaten tragen großteils in ihrer jeweiligen Sprache vor, und da geht natürlich schon wahnsinnig viel verloren. Das alles ad hoc richtig und juristisch auf den Punkt zu übersetzen geht einfach nicht. Von daher ist es nicht unlogisch, dass man versucht, möglichst viel schriftlich zu machen. Andererseits ist bei der Schriftlichkeit das Problem, dass es sehr enge Grenzen gibt: zum Beispiel maximal 20Seiten, die man als Schriftsatz einbringen kann. Das ist schon sehr, sehr knapp. Da fängt man dann wirklich an, Zeilenabstände zu minimieren und noch irgendeinen Satz hineinzuquetschen. Wir sind dann auch darüber hinausgegangen und haben einfach mehr eingebracht und gesagt: Sonst müssen sie es uns halt zurückschmeißen. Also da ist die Möglichkeit, sich zu äußern und seinen Standpunkt geltend zu machen, schon sehr eingeschränkt. Auch beim mündlichen Vortrag hat man eine Maximalzeit, in der man sprechen darf.

Wie lang?

Bei uns waren das fünf oder zehn Minuten. Man darf aber auch nicht zu schnell sprechen, sonst können die Übersetzer nicht mithalten. Zum Teil haben wir uns mit diesen Formalismen mehr als mit den Inhalten beschäftigt. Der Anwalt, der das vorgetragen hat, hat am Abend davor vor dem Spiegel Zeit gestoppt, um auf der einen Seite keine Minuten, in denen man noch gute Punkte machen kann, zu verschenken, auf der anderen Seite nicht zu lang zu werden, sodass ihm die wichtigen letzten Punkte vom Richter abgeschnitten werden.

Konnten Sie Ihren Standpunkt zur Gänze darlegen? Gewonnen haben Sie ja.

Es hat einige Punkte gegeben, die die Richter aus dem, was wir vorgebracht haben, nicht herausgelesen haben. Zum Beispiel bei der Frage, ob die irische Datenschutzbehörde entscheiden muss oder nicht. Es ergibt sich zwar ohnehin klar aus dem Gesetz, aber es ist noch nie judiziert worden. Da denkt man sich, wenn man fünf Minuten mehr gehabt hätte, wäre das eine Nebenfrage gewesen, die zu klären auch wichtig gewesen wäre. Aber bei uns waren die Fragen der Richter zu 95Prozent an die EU-Kommission; sie ist dort bombardiert und zerlegt worden. Das war fast schon skurril, weil die Richter praktisch unser Anwalt waren und unsere Punkte lang und breit vorgebracht haben. Wir sind dann nur mit zwei oder drei Fragen bedacht worden, nach dem Motto „Ja mei, da sind Kläger, stellen wir ihnen auch einmal eine Frage“.

In welcher Sprache wurde verhandelt?

In Englisch, weil der Fall ja aus Irland gekommen ist.

Die Verhandlung war wegen der großen Bedeutung der Sache vor der Großen Kammer mit 13 Richtern. Haben Sie das dann noch einmal als speziell erlebt?

Ich bin da sehr unromantisch und nüchtern. Ich habe nur festgestellt, dass meine Anwälte ganz glückselig waren, vor der Großen Kammer zu sein. Auch Vertreter aus anderen Mitgliedstaaten haben Fotos gemacht, weil sie vor der Großen Kammer waren. Da müssen sich die Anwälte auch einen Talar anziehen, und nachher haben sie schöne Gruppenfotos gemacht. Das geht dann ein bisschen in die Richtung Disneyland für Juristen – dass sie da auch einmal waren. Vielleicht sollte auch ich mich ein bisschen mehr emotionalisieren.

Die Öffentlichkeit war an dem Fall sehr interessiert.

Ja, es war ein Medienspektakel. Und viele Fachjuristen haben sich interessiert. Spannend war dann die Urteilsverkündung; da haben sie 13Urteile der Reihe nach verkündet. Wir waren das zweite. Und da war außer uns und einem Knäuel an Medien schlichtweg niemand dort, nicht einmal die Parteien. Sie bekommen die Urteile ohnehin schriftlich ausgefertigt, und dort wird nur der Tenor vorgelesen.

Wollen Sie aus Ihrer Bekanntheit noch mehr machen und auf dem Gebiet des Datenschutzes öffentlich sichtbar bleiben?

Ich finde die Datenschutzsache spannend, aber sie ist nicht mein Lebensding. Ich empfinde diese Öffentlichkeit eher als unangenehm.

AUF EINEN BLICK

Max Schrems, 28-jähriger Jurist aus Salzburg, ist Gründer der Initiative Europe versus Facebook. Mit einer Beschwerde über die Weiterleitung von Daten durch Facebook in die USA hat er das „Safe Harbor“-Abkommen aus den Angeln gehoben. Dieses war von der EU-Kommission gebilligt worden und hatte als Grundlage für die Datenübermittlung gedient. Der EuGH teilte die Einwände von Schrems, wonach damit kein wirksamer Schutz persönlicher Daten gewährleistet sei. Die Kommission hat mittlerweile mit den USA eine neue Einigung getroffen. Nach Einschätzung der Artikel-29-Datenschutzgruppe, in der die nationalen Datenschutzbehörden vertreten sind, verletzt aber auch „Privacy Shield“ elementare Grundsätze des Datenschutzes.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.05.2016)

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