Was ist eigentlich Regietheater?

Daniel Kehlmann redete in Salzburg so, als wisse er es. Das deutsche Feuilleton zeigte sich tagelang verwirrt.

Daniel Kehlmann hat aus seiner Eröffnungsrede zu den Salzburger Festspielen eine Liebeserklärung an seinen verstorbenen Vater gemacht, einen Theatermacher. Zugleich hat sich der Schriftsteller wie ein ganz arger Regietheater-Regisseur benommen. Er drosch auf Regisseure ein, die sich nach seinem Geschmack auf Kosten der Dichter und ihrer Texte unmäßig ausleben.

Regisseurin Andrea Breth war in den „Salzburger Nachrichten“ angetan von dieser Rede, sie sei „gut und wichtig für die sich selbst überschätzende momentane Theaterszene“. Im „Hamburger Abendblatt“ aber regte sich Widerstand. Ulrich Khuon, Intendant des Deutschen Theaters Berlin, tadelte Kehlmanns „pauschales Verschwörungsgedudel“. Es sei unverantwortlich, dies an einer Stelle wie der Eröffnung der Salzburger Festspiele zu tun.

Verkehrte Welt. Die Zertrümmerer mahnen zur Zurückhaltung, während Vorkämpfer der Retrospektive polemisieren, wenn auch nicht so elegant wie Kehlmann. Tilman Krause in der „Welt“ etwa: „Regietheater ist Unsinn – das versteht sich von selbst“, behauptet er und spricht von gesunkenem Kulturgut, das von unserer Überflussgesellschaft verwaltet, nicht gestaltet werde. „Es hat seine Zeit gehabt.“

Von allen Dichtern verlassene Zwerge. Dieser Gedanke scheint auch Gerhard Stadelmaier nicht fremd zu sein. In der „FAZ“ baut er einen entsprechenden Exkurs in einen Kommentar zum Tode Peter Zadeks ein, der lange Zeit als genialster Neuerer galt. Alles Theater, schrieb Stadelmaier, „gerade das werk- und textverliebteste, ist naturgemäß Regietheater. Erst durch Regie kommt es zu sich, zu Welt und Leben. Was einem Zadek (und nicht nur ihm) entgegenstand, ist das Regisseurtheater. Es ist das schauerliche Theater der Selbstfüllknirpse, der fantasie- und geistlosen, von allen Dichtern verlassenen Zwerge. Ein mieses Genre.“ Regietheater statt Regisseurtheater? Frank Baumbauer, langjähriger Intendant der Münchener Kammerspiele, im „Hamburger Abendblatt“: „Es gibt kein Regietheater. Es gibt nur gutes oder schlechtes Theater.“ Da hat er recht.

Vielleicht sollten alte und neue Theaterzertrümmerer auf Regisseur Nicolas Stemann hören. Bescheiden klingt seine listige Wortmeldung. In der „Süddeutschen Zeitung“ erklärte er, warum es kein Zurück gebe. Das Wesen des Theater sei die Vergänglichkeit. Daran liege es auch, dass ein Regisseur wie Kehlmanns Vater „vergessen wird und in völliger Bedeutungslosigkeit versinkt, weil die Zeit weiterschreitet und sich die ästhetischen Vorstellungen der Zuschauer und der Kritik ändern“. Bald zählt also auch Progressivstes zum alten Mist. Und den müssen wir uns dann auch gar nicht mehr anschauen.

norbert.mayer@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.08.2009)

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