Vor dem Inkrafttreten des neuen Drogenparagrafen am Mittwoch ist die Justiz auf „massive Einsätze“ vorbereitet.
Wien. Innen- und Justizressort sprechen neuerdings von einem „Aktionsplan“ – von einem Plan, den die beiden ÖVP-Minister Wolfgang Sobotka (Inneres) und Wolfgang Brandstetter (Justiz) unter dem beruhigenden Titel „Sicheres Österreich“ verkaufen. Gemeint ist ein schärferes Vorgehen gegen den Drogenhandel auf offener Straße.
So gesehen wäre der Titel „Sicheres Wien“ treffender, da es in erster Linie um die Umschlagplätze in und um die Stationen der U6 geht. Und um den Praterstern, der es mittlerweile als sogenannter sozialer Brennpunkt zu fragwürdiger Berühmtheit gebracht hat.
Wenngleich diese Aktion scharf schon seit 20. Mai läuft, sind alle Augen auf die nächsten Tage gerichtet. Denn ab Mittwoch gilt, wie berichtet, ein neuer Tatbestand im Suchtmittelgesetz: „Drogenhandel im öffentlichen Raum“.
Demnach droht denjenigen bis zu zwei Jahre Haft, die etwa in einem öffentlichen Verkehrsmittel oder in einem öffentlichen Gebäude oder sonst an einem allgemein zugänglichen Ort öffentlich oder „unter Umständen“, unter denen ihr Verhalten geeignet ist, „durch unmittelbare Wahrnehmung berechtigtes Ärgernis zu erregen“, Drogen entgeltlich anbieten.
Zur Erklärung: „Berechtigtes Ärgernis“ lässt sich auch etwa in Hauseinfahrten oder Stiegenhäusern erregen.
Ja, es handelt sich – und das wird auch von den treibenden Kräften der Novelle, SPÖ und ÖVP, mehr oder minder eingestanden – um Anlassgesetzgebung. Schließlich sorgt der Suchtgifthandel in Wien für permanente Aufregung. Ungeniert werden den ganzen Tag Drogen wie etwa Kokain, Cannabis oder Ecstasy von gruppenweise auftretenden Dealern (manchmal bis zu 25 Personen) angeboten.
Begleiterscheinungen sind Massenschlägereien unter rivalisierenden Drogenbanden, wie beispielsweise der Kampf unter algerischen Tätern (großteils Asylwerbern), bei dem Ende April bei der U6-Station Handelskai auch ein Samuraischwert als Waffe eingesetzt worden ist. Einem 28-Jährigen, der lebensgefährlich verletzt worden war, wurde im Wiener AKH das Leben gerettet. Wie die Polizei mitteilte, bedrohte der Mann nach dem Erwachen aus dem künstlichen Tiefschlaf Ärzte und Krankenschwestern mit dem Umbringen.
Was ist nun der Vorteil des neuen Gesetzes aus Sicht der Polizei? Sie kann leichter als bisher die Verhängung einer U-Haft erwirken. Als bisher? Leichter als (erst) seit Jahresbeginn. Denn mit Anfang 2016 ist eine sehr deutliche Liberalisierung der gewerbsmäßigen Begehung von Straftaten in Kraft getreten. Sinn dieser Entschärfung: „Kleine“ Ladendiebe aus dem Ausland landeten rasch in U-Haft (die Haftrichter nahmen nämlich bei ausländischen Tätern oftmals Fluchtgefahr an) – dem wollte der Gesetzgeber entgegentreten. Er „übersah“ aber, dass er es damit Drogenhändlern leichter machte.
Um nun nicht das Paket mit den neuen Gewerbsmäßigkeitsregeln wieder aufschnüren zu müssen, bastelte man kurzerhand einen neuen Drogenparagrafen. Dass man es mit dessen Anwendung von Anfang an ernst meint, zeigt eine am Montag herausgegebene Information der Staatsanwaltschaft (StA) Wien. Demnach seien die StA, das Straflandesgericht Wien und das Gefängnis für „massive Einsätze“ gerüstet. Journaldienste – diese benötigt man für die (allenfalls nächtliche) Beantragung bzw. Verhängung von U-Haft – und Justizwache wurden aufgestockt.
Dramatische Zahlen
Die Zahl der Anzeigen nach dem Suchtmittelgesetz (SMG) ist seit Anfang des Jahres merklich gestiegen: Es gab von Anfang Jänner bis Ende April 2015 insgesamt 3133 Anzeigen wegen Verstößen gegen das SMG. Im Vergleichszeitraum diesen Jahres waren es bereits 3347. Übrigens: Die Aktion „Sicheres Österreich“ führte in der ersten Woche ihres Bestehens zu 3570 Personenkontrollen, 135 Festnahmen und 923 Anzeigen.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.05.2016)