Mystery Shopping: Ärzte kritisieren "DDR 2.0"

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Die Ärztekammer wehrt sich weiterhin vehement gegen Kontrollen durch Testpatienten und startet eine weitere Info-Kampagne in Kassenordinationen.

Wien. Bei kaum einem Thema reagierten die Ärzte in letzter Zeit so empfindlich wie beim sogenannten Mystery Shopping – also der Kontrolle von niedergelassenen Kassenärzten durch Testpatienten, die seit 1. Jänner 2016 von der Krankenkasse geschickt werden – mit einer gefälschten E-Card und erfundenen Krankengeschichten, um Sozialbetrug aufzudecken. Sie sollen etwa herausfinden, ob Allgemeinmediziner ungerechtfertigte Krankschreibungen vornehmen und nicht erbrachte Leistungen verrechnen.

Aber auch die Überprüfung der „Zuverlässigkeit nach waffen- oder sprengstoffrechtlichen Vorschriften“ in den Ordinationen gehören zu ihren Aufgaben – was die Ärztekammer auf die Barrikaden gehen lässt. „Man fragt sich wirklich, wie Österreich bis jetzt ohne sprengstoffrechtliche Kontrollen in Arztordinationen auskommen konnte“, sagt Johannes Steinhart, Obmann der Bundeskurie niedergelassene Ärzte und Vizepräsident der Österreichischen Ärztekammer. „Was glaubt die Krankenkasse eigentlich? Dass Ärzte Handgranaten in ihren Ordinationen horten?“ Am Montag präsentierte Steinhart bei einer Pressekonferenz die Info-Kampagne für Kassenärzte und Patienten, die unter anderem Wartezimmer-TV-Spots, Ordinationsplakate und Patienten-Infokarten umfasst. Kernpunkt: Ärzte sollen konsequent die Identität von ihnen unbekannten Patienten mittels Überprüfung eines amtlichen Lichtbildausweises feststellen. Bereits im vergangenen Jahr machte die Ärztekammer mit einer Plakatkampagne gegen das Mystery Shopping mobil.

„Düstere Zeiten“

„Wir sind nicht gegen Kontrollen, Transparenz ist uns wichtig“, sagt Steinhart. „Kontrollen von Krankenständen und erbrachten Leistungen waren aber schon bisher möglich, dafür braucht es kein Spitzelwesen, das an demokratiepolitisch düstere Zeiten erinnert – sozusagen „DDR 2.0.“ Er kritisiert vor allem die Verhältnismäßigkeit dieser Maßnahme. 2014 habe sich der durch E-Card-Betrug entstandene Schaden für die Wiener Gebietskrankenkasse laut Hauptverband auf lediglich 1695 Euro belaufen. „Und dafür will man allen Ernstes Mystery Shopper engagieren?“, so Steinhart. „Eine ärztliche Behandlung kann nur erfolgreich sein, wenn Arzt und Patient einander vertrauen. Wissen Ärzte nicht mehr, ob sie einen Patienten oder einen Kassenspion vor sich haben, ist dieses Vertrauen definitiv gestört.“ Die Ärztekammer fordert daher nach wie vor ein Einlenken der Krankenkasse und will notfalls vor den Verfassungsgerichtshof ziehen.

Die Wiener Gebietskrankenkasse setzt im Übrigen schon seit 2011 Testpatienten bei Kassenärzten ein. 14-mal wurde seither geprüft, in elf Fällen erhärteten sich die Verdachtsmomente. Drei Kassenverträge wurden mittlerweile rechtskräftig gekündigt. Es ging um Krankenstandsbetrug und die Abrechnung nicht erbrachter Leistungen. In den vergangenen sechs Monaten habe das Mystery Shopping zu zwei Vertragskündigungen geführt. (kb)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.05.2016)

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