Katharina Stemberger: „Europa braucht ein Narrativ“

Katharina Stemberger
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Katharina Stemberger über politisches Engagement, Verantwortung und Italianità à la Goldoni.

Lebhaft, positiv und beredt wirkt auf den ersten Blick Katharina Stemberger, die ab Ende Juni in Stockerau in Carlo Goldonis „Der Diener zweier Herren“ zu sehen sein wird: als Beatrice, die sich in Männerkleidern auf die Suche nach ihrem Liebsten begibt. Das Stück, das derzeit auch am Burgtheater zu sehen ist, sei eine „Urform der Screwball-Comedy“, findet Stemberger. Fast stärker als das Theater beschäftigt die Schauspielerin ihre Produzententätigkeit für Filme ihres Mannes, Fabian Eder, der Dokumentationen über aktuelle Themen wie Schulden-und Flüchtlingskrise dreht, etwa „Griechenland blüht“ oder „Keine Insel“. Die Stimmung in der Gesellschaft beunruhigt Stemberger: „Ich glaube, wir stehen am Abgrund und bewegen uns in Richtung dunkler Zeiten“, sagt sie.

Goldoni war Venezianer. Was verbinden Sie mit Venedig?
Ich habe 2002 dort geheiratet. Das Standesamt ist in einem wunderschönen Palazzo am Canal Grande. Ich habe die ganze Familie und meine Freunde genötigt, nach Venedig zu fahren. Man musste Quartiere suchen und ein leistbares, dennoch gutes Restaurant. Es war nicht einfach, aber schön! Ich habe mir eine rote Robe nähen lassen, weiß wäre nicht gegangen, ich hatte ja schon mein Baby. Der einzige Nachteil war, es war der 11. Mai, wir dachten, es wird warm sein, dann sind wir alle mit Mänteln im Innenhof gesessen, weil es so kalt war. Aber das hat der Freude keinen Abbruch getan.


Was ist für Sie wichtig beim „Diener zweier Herren“?
Es geht um die Liebe. Ich finde, das Stück ist eine Urform der Screwball-Comedy. Ständig suchen einander die Paare. Der Zuschauer denkt: Wieso finden sich die nicht? Damit haben die Besucher natürlich die größte Freude, weil sie wissen, wir nicht.


Was ist für Sie Italianità?
Leichtigkeit – und mit sehr viel Charme die Dinge nicht so genau zu nehmen.

In Salzburg waren Sie zuletzt als Schuldknechts Weib im „Jedermann“ zu sehen. Warum haben Sie diese Rolle aufgegeben?
Meine Tochter ist jetzt 14 Jahre alt. Ich konnte mit ihr in den vergangenen drei Jahren in den Sommerferien nicht wegfahren. Ich habe bemerkt: Diese gemeinsame Zeit fehlt mir. In Stockerau habe ich zwar viel mehr Vorstellungen als in Salzburg, aber Ende Juni fangen wir an, Anfang August sind wir fertig – und dann fliegen wir nach Griechenland. Dort sind wir 14 Tage in einem kleinen Häuschen, nahe Kalamata, das einer Freundin von mir gehört.


Spielen Sie öfter Sommertheater?
Die Verbindung zu Stockerau kam durch den Regisseur Zeno Stanek, ich kenne ihn schon lange. Ich finde es toll, wie er Festivals mit viel Herz und Hirn betreut. Vergangenes Jahr gab es ein Konzert in Stockerau mit Robert Holl und Robert Lehrbaumer. Ich habe Texte gelesen und fand das Ambiente entzückend.


Sie arbeiten mit Ihrem Mann Fabian Eder bei dessen Filmprojekten als Produzentin zusammen. Was kommt da als Nächstes?
Wir bereiten eine Literaturverfilmung für das Kino vor, aber auch eine Fortsetzung unserer Europafilme. 2012 haben wir den Film „Griechenland blüht“ gemacht. Vier Jahre später wollen wir wieder nach Griechenland. Mit unserem Segelschiff Europa wollen wir die Situation an der Ostküste, also zwischen Griechenland und der Türkei, aufrollen. Genau dort entscheidet sich in gewisser Weise die europäische Frage: Finanzkrise, Flüchtlinge, das Verhältnis Türkei-Europa. Unsere Filme haben immer einen gemeinsamen Ansatz: in der Form künstlerisch, im Inhalt politisch, im Kern solidarisch. Europa braucht keine weiteren Reportagen, sondern ein Narrativ. Menschen, die über Menschen erzählen. Das ist unser vorrangiges Ziel.


Wie sehen Sie die Flüchtlingskrise?
Ich bemerke eine große Verunsicherung und Spaltung in der Bevölkerung. Manche Menschen beziehen gar keine Position und haben für sich keine greifbare Meinung. Ich sehe viele verkürzte Antworten auf sehr komplexe Fragen. Ich glaube, wir stehen am Abgrund, und wenn wir nicht aufpassen, dann bewegen wir uns auf dunkle Zeiten zu. Das beunruhigt mich.


Was sollte man unternehmen, Ihrer Meinung nach?
Das ist sehr individuell. Es gibt darauf keine einfachen Antworten. Ich war heuer im Mai eingeladen, die Festrede zur Gedenkveranstaltung der Befreiung des KZ Ebensee zu halten. Ich bin wochenlang gesessen und habe nachgedacht. Ich habe mich an meine Großmutter erinnert. Als 13-jähriges Mädchen bin ich von einem sehr guten Geschichtsunterricht nach Hause gekommen. Ich bin vor ihr gestanden und habe die Oma, die Jahrgang 1907 war, der wunderbarste Mensch, den ich über alles geliebt habe, gefragt: Erzähl mir, was hast du erlebt, was hast du gemacht? Da war sehr viel Schmerz in ihren Augen und zusammengebissene Lippen. Sie konnte nichts sagen. Aber ich wollte es unbedingt verstehen!


Haben Sie mit der Zeit von Ihrer Großmutter etwas erfahren?
Nein. Vergangenes Jahr in Alpbach hat das Zentrum für politische Schönheit eine sehr gute Theateraktion gemacht. Sie haben auf die Sitze Postkarten gelegt. Wir sollten unseren Enkeln drei Antworten auf folgende Fragen schicken: Was hast du gewusst? Was hast du getan? Was hast du nicht getan? Man kann die jetzigen Vorgänge vielleicht nicht mit den 1930er-Jahren vergleichen. Oder doch? Wieder schießt man sich auf eine Gruppe ein. Ich finde das schwierig. Je mehr ich mich in diese Ebensee-Rede vertieft habe, umso mehr hatte ich das Gefühl: Vielleicht sind wir schon wieder in einer ähnlichen Situation wie meine Großeltern? Die AfD in Deutschland, Marine Le Pen in Frankreich . . .


Einerseits Sommertheater, andererseits politische Verwerfungen. Wie geht das für Sie zusammen?
Ich bin innerlich gespalten, da schlagen zwei Herzen in meiner Brust, auf der einen Seite freue ich mich wahnsinnig auf den Sommer – dass wir Komödie spielen und dafür sorgen werden, dass die Leute hoffentlich eine gute Zeit haben. Auf der anderen Seite gibt es sehr ernste, bedrohliche politische Themen. Ich kann mich als Künstlerin nicht loslösen von den Geschehnissen, die mich umgeben. Kurz einmal verschwinden, das geht nicht.


Sie treten öfter mit Ihrer Familie auf, mit Ihrer Schwester Julia, Ihrer Mutter Christa. Auch Ihr Stiefvater, der Komponist Kurt Schwertsik, ist an den Projekten beteiligt. Gibt es da etwas Neues?
Am 4. November bringen wir „Kaiser Joseph II. und die Bahnwärterstochter“ von Herzmanovsky-Orlando im Musikverein heraus. Den Kaiser spielt die Julia, und ich bin das Nozerl, mit der er gern ein Pantscherl hätte. Kurt Schwertsik hat seine Bühnenmusik zu dem Stück neu überarbeitet. Wir haben nie einen Regisseur. Die Vorbereitung funktioniert ganz basisdemokratisch. Das ist ein herrliches Stück!

Tipp

Stockerauer Sommerspiele. „Der Diener zweier Herren“ von Goldoni, mit Katharina Stemberger, Okan Cömert, Claudia Waldherr, 28. Juni bis 6. August.

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