Das Drama von Falluja

IRAQ-CONFLICT
IRAQ-CONFLICT(c) APA/AFP/MOADH AL-DULAIMI (MOADH AL-DULAIMI)
  • Drucken

Die Offensive gegen den Islamischen Staat trifft vor allem die Zivilbevölkerung. Die Jihadisten sind bereit, die eingeschlossenen Bürger Fallujas in den Tod zu reißen.

Kairo. Ihre Lage in Falluja ist verzweifelt. 50.000 Bewohner sind in der umkämpften Stadt nahe Bagdad gefangen, die sich seit Jänner 2014 in der Hand des Islamischen Staats befindet. Nach Augenzeugenberichten treiben die Jihadisten Hunderte Familien im Zentrum zusammen und zwingen sie auf Sammelplätze, um sie als menschliche Schutzschilde zu missbrauchen. Der Norwegische Flüchtlingsrat, der im Umland mehrere Flüchtlingslager betreibt, warnte vor einer „humanitären Katastrophe“.

Irakische Elitetruppen, Polizeieinheiten und schiitische Milizen haben sämtliche Zugänge nach Falluja unter Kontrolle. Für die Gotteskrieger gibt es kein Entrinnen mehr. Umso mehr scheinen sie entschlossen, möglichst viele Menschen mit in den Tod zu reißen und die Stadt weitgehend zu zerstören. „Sie schwenken jetzt um auf die Strategie, aus Rache die menschlichen Verluste so hoch wie möglich zu machen“, erläutert Paul Salem vom Middle East Institute in Washington. Die IS-Kämpfer in Falluja glaubten nicht mehr an ihren Sieg, „aber wenn sie Tausende Zivilisten mit in den Tod reißen, dann wird das die Leute innehalten lassen, die über Mossul und andere Städte nachdenken“.

Brutale Schiiten-Milizen

In Falluja grassiert der Hunger. Lebensmittel sind wegen der seit Februar verhängten Blockade extrem teuer geworden, Bewohner ernähren sich weitgehend von Datteln. Andere rösten und mahlen sogar die Steine der Früchte, um daraus ein unangenehm säuerliches Brot zu backen. Trinkwasser ist knapp. Medikamente sind praktisch nicht mehr vorhanden. Die einzige Wasserquelle für die meisten ist der stark verschmutzte Euphrat.

Die Offensive irakischer Spezialeinheiten und schiitischer Milizen begann am Dienstag. Von drei Seiten drangen die Angreifer in die Stadt ein, konnten aber bisher nicht in das Zentrum vorstoßen. Denn die Jihadisten leisten mit allen Mitteln Widerstand, setzen Scharfschützen, Selbstmordattentäter und Sprengfallen ein. Aber auch das Schicksal der eingeschlossenen Bürger lässt das Armee-Oberkommando zögern, den Sturmbefehl zu geben. Die schiitischen Verbände der sogenannten Populären Mobilisierungseinheiten dagegen zeigen weit weniger Skrupel. Im Norden von Falluja, in der Vorstadt Garma, sprengten sie die Moschee in die Luft, skandierten Parolen gegen die sunnitische Bevölkerung und plünderten deren Häuser. Nach dem Bericht eines lokalen Scheichs nahmen die Bewaffneten 73 Männer als Geiseln, von denen sie 17 exekutierten.

Die Kämpfer der schiitischen Milizen werden im Süden des Irak rekrutiert, vom Iran bezahlt und gesteuert. Und so wurde in den vergangenen Tagen auch General Qassem Soleimani an der Front gesehen, der die Auslandsbrigade der Revolutionären Garden Teherans kommandiert. Das mörderische Treiben der Angreifer könnte nach einem Fall von Falluja das Verhältnis von Sunniten und Schiiten im Irak weiter vergiften. (m.g.)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.06.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Frauen und Kinder, die aus Falluja fliehen konnten.
Außenpolitik

Mindestens 20.000 Kinder im irakischen Falluja eingeschlossen

UNICEF warnt, dass Kinder in die Kämpfe hineingezogen werden könnten. Am Montag hat der Irak begonnen in die IS-kontrollierte Stadt einzudringen.
Außenpolitik

Irak: Sturm auf IS-Bastion Falluja

Die Armee ist in die von der Terrormiliz kontrollierte Stadt eingedrungen. Eine Rückeroberung hätte großen symbolischen Wert.
Die irakischen Truppen haben sich in den vergangenen Tagen bis zur IS-Hochburg Falluja durchgekämpft.
Außenpolitik

Irakische Truppen nach Falluja eingedrungen

Eliteeinheiten betraten die vom IS kontrollierte Stadt. Unterstützung kommt aus der Luft durch die internationale Militärkoalition.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.