Vor Deutschland haben schon viele andere Staaten den Armenier-Genozid anerkannt, darunter auch Österreich. Die türkische Regierung hat stets scharf reagiert.
Istanbul. Mit Warnungen, Drohungen, diplomatischen Protestaktionen und manchmal auch konkreten Sanktionen wehrt sich die Türkei seit Jahren gegen die internationale Anerkennung des Völkermords an den Armeniern. In jüngster Zeit hat Ankara damit immer weniger Erfolg. Mehr als 20 Staaten, darunter Österreich und EU-Führungsnationen wie Frankreich und nun Deutschland, erkennen die Massaker an der christlichen Minderheit im Ersten Weltkrieg als Völkermord an. Und wie im Fall Deutschlands wurde der türkische Botschafter auch aus Österreich zurückberufen, als der Nationalrat im April 2015 den Völkermord an den Armeniern verurteilte.
Der Armenier-Entwurf des Deutschen Bundestages, der trotz türkischer Warnungen und einer persönlichen Intervention von Präsident Recep Tayyip Erdoğan bei Kanzlerin Angela Merkel angenommen wurde, ist ein schwerer Schlag für die türkischen Bemühungen, die Anerkennungswelle zu stoppen. Erst vor Monaten hatte die Türkei einen Armenier-Streit mit dem Vatikan beigelegt. Anlass war eine Äußerung von Papst Franziskus, der die Massaker an den Armeniern als „ersten Genozid des 20. Jahrhunderts“ gegeißelt hatte. Ankara zog seinen Botschafter aus dem Vatikan für einige Zeit ab.
Zusammenarbeit ausgesetzt
Türkische Botschafter in Frankreich, Brasilien und Luxemburg wurden nach Armenier-Entscheidungen der Parlamente vorübergehend „zu Konsultationen“ nach Ankara zurückbeordert, wie es in der Sprache der Diplomatie heißt. Als Frankreich darüber hinaus die Bestrafung einer Leugnung des Völkermords beschloss, legte die Türkei die politische und militärische Zusammenarbeit mit Paris auf Eis. Das Gesetz wurde jedoch kurz darauf vom Verfassungsrat kassiert.
Die Schweiz scheiterte mit einem Gesetz zur Kriminalisierung der Genozid-Leugnung 2015 vor dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshof. Die Straßburger Richter urteilten im Fall des nationalistischen türkischen Politikers Dogu Perincek, der den Völkermord leugnete, das Schweizer Gesetz verstoße gegen das Recht auf freie Meinungsäußerung.
Mit besonderer Aufmerksamkeit beobachtet die Türkei die Entwicklung in den USA, wo Politiker und armenische Verbände jedes Jahr zum Jahrestag der Massaker am 24. April verlangen, der Präsident möge in seiner traditionellen Stellungnahme den Begriff des Völkermordes verwenden. Bisher haben alle Präsidenten wegen der Bedeutung des Partners Türkei auf eine Geißelung der Ereignisse als Genozid verzichtet. (güs)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.06.2016)