Wer ist Thomas Pynchon?

Schon nach dem ersten Erfolg ist der große Schriftsteller aus der Öffentlichkeit abgetaucht. Sein Werk muss für sich sprechen.

Dass jedes neue Buch von Thomas Pynchon ein Ereignis ist, liegt nicht nur an seiner schriftstellerischen Bedeutung – regelmäßig wird er als Favorit für den Literaturnobelpreis gehandelt. Sondern hat auch banal damit zu tun, dass sich der Autor nach dem Erscheinen seines ersten Romans „V.“ (1963) aus der Öffentlichkeit zurückzog. Immer wieder gab es Spekulationen, dass er gar nicht existiere, oder dass seine Bücher mit ihren komplexen Bauplänen, ausuferden Popkulturzitaten und vor allem ihrer historisch enorm aufwendigen Recherche gar das Werk eines Komitees seien.

So viel ist sicher: Pynchon wurde 1937 in Glenn Cove auf Long Island, New York geboren, er war ein guter Schüler. An der Cornell Universität studierte er Physik und Englisch, u.a. bei Vladimir Nabokov. Von 1955 bis 1957 unterbrach Pynchon sein Studium, um zur Navy zu gehen (aus dieser Zeit stammt eines der beiden Jugendfotos, die als einzige offiziell von ihm kursieren, das andere ist aus dem Jahrbuch seiner Schule). Noch vor dem Ende der Dekade veröffentlichte Pynchon seine ersten Kurzgeschichten, 1960 heuerte Pynchon als technischer Redakteur bei Boeing an.

Ließ sich von einem Komiker vertreten

Mit dem Erscheinen von „V.“ wurde Pynchon schlagartig bekannt – und sofort als einer der bedeutendsten Gegenwartsautoren gefeiert. Was sich spätestens mit dem noch dickeren Hauptwerk „Die Enden der Parabel“ (im Original: „Gravity's Rainbow“) 1973 bestätigte: Die Fusion aus gewagter Form, originellem Stil, enormem historischen und mathematischen Wissen mit mystischen Spekulationen und gegenkulturell geprägter Gesellschaftskritik und einer ausgeprägten Liebe zu Untiefen des Populären und zu wilder, ja sogar obszöner Farce sorgte für ein neues Leseerlebnis (und nahm viel von der Postmoderne vorweg). Als der Roman 1974 den „National Book Award“ erhielt, kam aber nicht der untergetauchte Pynchon auf die Bühne, sondern ein stattdessen engagierter Komiker, Professor Irwin Corey und faselte fast so wirres Zeug wie eine durchschnittlich delirierende Pynchon-Figur. Nicht erst seit diesem unvergesslichen Moment haben viele Neugierige Pynchons Spuren verfolgt, aber seine Privatsphäre blieb gewahrt, auch wenn man etwa weiß, dass er seine Agentin Melanie Jackson geheiratet hat und mit ihr (und einem gemeinsamen Kind) in den Neunzigerjahren wieder nach New York zog.

Pynchons Rückzug soll nicht nur sein Werk für sich selbst sprechen lassen, sondern ist auch konsequente Weiterführung desselben: Pynchon kritisiert gesellschaftliche Zwänge und insbesondere Popkultur und Medienzirkus. Seinen Sinn für Humor zeigt er dabei nicht nur auf dem Papier: Für Auftritte in der Fernsehserie „Die Simpsons“ ist der Schriftsteller doch aus der Versenkung gekommen. Doch nur als Sprecher – als Zeichentrickfigur ist er anonym geblieben: mit einem Papiersack über dem Kopf.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.08.2009)

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