Leitlinien zur Netzneutralität sind "Versuch einer Klarstellung"

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RTR-Chef Johannes Gungl ist überzeugt, dass erst die kommenden Jahre und einige EUGh-Verfahren zu einer "gemeinsamen europäischen Linie" führen werden.

Seit 30. April ist die umstrittene EU-Verordnung zur Netzneutralität in Kraft. Nun haben sich die Regulierungsbehörden der 28 Mitgliedsstaaten in Wien auf eine gemeinsame Leitlinie zur Netzneutralität geeinigt. Festgehalten auf neun Seiten. "Doch bis es eine gemeinsame europäische Linie gibt, werden noch Jahre vergehen", zeigt sich RTR-Chef Johannes Gungl überzeugt.

Der Grundsatz "alle Daten sind gleich" war jahrelang internationaler Konsens. Doch mit zunehmenden Diensten und Branchen, die ins Internet abwanderten, wurde diese allgemein geltenden Regel in Frage gestellt. Im Oktober 2015 wurde dann ein Gesetzesentwurf im EU-Parlament aufgenommen, der die Netzneutralität nicht sicherte, sondern sie zum Wackeln und beinahe Kippen brachte. Zwar gilt nach wie vor, dass "die Daten übertragen werden, unabhängig davon, was der Inhalt ist, von welcher Anwendung die Daten übertragen werden, woher die Daten kommen und wohin sie gehen". Doch auch wenn 28 Länder sich auf einen gemeinsamen Kriterienkatalog geeinigt haben, die Verordnung lässt viel Raum für Interpretation.

"Keine großen Ängste"

"Aus unserer Sicht bleibt die Netzneutralität erhalten", erklärt RTR-Chef Johannes Gungl. Doch auch er räumt ein, dass dieser Leitfaden erst der Versuch einer einheitlichen Lösung ist. Dass dieser nicht optimal ist und Freiräume lässt, sei unvermeidbar. "Die nächsten Jahre werden erst zeigen, wie wir Netzneutralität tatsächlich verstehen. Wir haben aber keine großen Ängste, dass sie mit diesen Leitlinien abgeschafft wird".

Netzaktivisten warnen seit Monaten davor, dass mit diesem Beschluss das Ende der Netzneutralität in Europa eingeläutet wird. Länder wie die Niederlande haben aus diesem Bedenken heraus ein Gesetz erlassen, das "Zero Rating" generell verbietet.

Zwar umfasst die Leitlinie viele Punkte zur Sicherung des offenen Internets, das vorsieht, dass der "Endkunde (umfasst auch Anbieter, also Unternehmen) das Recht hat, alle Inhalte, Informationen, Anwendungen seiner Wahl zu senden und empfangen bzw. für Endgeräte einer Wahl zu nutzen, unabhängig von Standort, Ursprung oder Bestimmung".

Umstritten ist aber vor allem Zero Rating. Darunter versteht man die Ungleichbehandlung von Internetdiensten durch verschiedene Preise für ihre Nutzung, beziehungsweise gewisse Dienste nicht auf das Datenguthaben der Kunden anzurechnen. Als prominenter Fall wird hierbei gerne der Mobilfunkanbieter Drei genannt. Seit 2014 gibt es die Möglichkeit, Spotify zu nutzen, ohne dabei das im Tarif inkludierte Datenvolumen angreifen zu müssen. Spotify wird nämlich explizit vom monatlichen Volumen ausgenommen. Für die "Initiative für Netzfreiheit" verletzt Drei damit eindeutig das Prinzip der Netzneutralität. Solche integrierten Produkte würden den Wettbewerb massiv verzerren und Hürden für den Markteintritt junger Unternehmen entstehen lassen.

Prinzipiell könnte Zero Rating die Grundsätze der Netzneutralität verletzen. Die EU untersagt es nämlich nicht generell. Der Passus ist im Gesetzestext sehr ungenau formuliert.

Einzelfallentscheidungen

Für die RTR anscheinend ebenfalls ein Grund diesen Tarif genauer unter die Lupe zu nehmen. Denn "besonders bei Zero Rating handelt es sich immer um eine Einzelfall-Entscheidung", führt Gungl aus. Entscheidend seien einerseits die Marktpositionen der involvierten Unternehmen sowie der durchschnittliche Datenverbrauch. Aber auch wie die technische Umsetzung ist, ist entscheidend bei der Frage, ob eine Wettbewerbsverzerrung gegeben ist.

Doch auch wenn die RTR beschließt, dass es sich bei dem Angebot um eine Verletzung der Netzneutralität handle, fehlt es nach wie vor an einem Strafenkatalog. Außerdem seien die Zuständigkeiten noch nicht zur Gänze geklärt.

Spezialdienste zulässig

Für Spezialdienste sieht man derzeit kaum Anwendungsfelder, die auf dieses Thema speziell anzuwenden seien. Vor allem autonomes Fahren sei kein akutes Problem. Damit werde man sich in den nächsten Jahren beschäftigen müssen. Grundsätzlich will man durch das Einziehen einer "Überholspur" ein "Zwei-Klassen-Internet" verhindern. Denn es muss nach dem derzeitigen Regelwerk die allgemeine Netzkapazität ausreichen. Prinzipiell gilt, dass sie nicht als Ersatz für Internetzugangsdienste angeboten oder genutzt werden dürfen. In keinem Fall dürfe damit das offene Internet verdrängt werden.

Jeder kann an Konsultation teilnehmen

Sollte sich aber das Wachstum der Bandbreite in Zukunft auch so verhalten wie in den letzten Jahren, sieht Gungl kaum eine Gefahr, dass in Österreich die Netzneutralität tatsächlich in Gefahr ist.

Bis zum 18. Juli 2016 haben Bürger aus allen 28 Nationen die Möglichkeit, an der Konsultation teilzunehmen. Die endgültigen Leitlinien werden am 30. August 2016 veröffentlicht.

Weiterführende Links:
>>> Berec-Webseite (Gremium aus allen 28 Regulierern)

>>> RTR-Webseite

>>> Netzneutralitätsverordnung (PDF)

>>> Presseaussendung Berec

>>> Konsultation - E-Mail-Adresse

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