Mehr Polizeiprügel, mehr Abschreckung im Niemandsland

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Flüchtlinge an der serbisch-ungarischen Grenze durchleben ein Martyrium. Einige sind dort bereits seit Wochen gestrandet.

Horgos. Vom Regen durchnässte Wäsche baumelt in der Abenddämmerung im Stacheldraht. Die kokelnden Feuer vor den Iglu-Zelten künden in dem tristen Flüchtlingscamp am serbisch-ungarischen Grenzübergang Horgos vom nahen Ende eines weiteren verlorenen Tags. Mutlos beäugt Bakhtiar das schwere Drehkreuz im Grenzzaun, das ihm schon seit zehn Tagen den Einlass zu Ungarns Transitzone Röszke verwehrt. Es gebe in dem Lager weder eine Dusche noch richtige Toiletten, berichtet der iranische Kurde mit müdem Blick: „Es ist einfach furchtbar. Und niemand weiß, wann und ob man an die Reihe kommt: Die Ungarn lassen hier nur 15 Leute pro Tag passieren.“

„Klein-Idomeni“ nennen serbische Medien das wilde Camp im Schatten des Grenzzauns. 200 bis 300 Menschen warten dort zum Teil seit Wochen auf die legale Einreise in Ungarn. Beim Überqueren der serbisch-mazedonischen Grenze sei seine Familie von maskierten Bewaffneten ausgeraubt und dann in Belgrad von der Schlepper-Mafia tagelang eingesperrt worden, erklärt Bakhtiar, warum er den illegalen Grenzgang seiner Familie nicht mehr zumuten will: „Die ungarische Polizei schlägt die Leute. Wir trafen in Subotica eine Gruppe von Pakistani, die die illegale Grenzpassage versucht hatten und übel zugerichtet wurden“, so der 40-Jährige.

Mit einer Verstärkung des Zauns zu Serbien hat Ungarn Ende Mai auf die Auflösung des Lagers im griechischen Idomeni reagiert. Denn trotz der Abriegelung dieser Balkanroute versuchen weiter Tausende, über Südost- nach Mitteleuropa zu gelangen. Täglich würden im Schnitt 150 Flüchtlinge nach Serbien kommen, sagt Rados Djurović, Direktor des Zentrums zum Schutz für Asylsuchende in Belgrad: „Alle reisen weiter zur Grenze nach Ungarn.“

Laut ungarischem Innenministerium wurden heuer 13.860 illegale Grenzgänger an der eingezäunten Grenze zu Serbien aufgegriffen, davon mehr als die Hälfte, 8117, in den vergangenen acht Wochen. Die Zahl der Menschen, die in diesem Jahr über Ungarn nach Österreich und Deutschland gelangt sind, schätzt Djurović auf bis zu 50.000. Zwar werden die aufgegriffenen Grenzgänger von Schnellgerichten im ungarischen Szeged in der Regel zum sofortigen Landesverweis verurteilt. Doch da Serbien wegen des umstrittenen ungarischen Grenzzauns die Rücknahme von Flüchtlingen verweigert, können in Ungarn zunächst verhaftete Flüchtlinge spätestens nach der Verlegung in ein offenes Camp ihren Weg nach Westen fortsetzen.

Bissige Hunde auf Migranten gehetzt

Um „den Mythos der unüberwindbaren Grenze zu wahren“, setze Budapest verstärkt auf eine Politik der verschärften Abschreckung, so Djurović: „Wir bemerken an den Verletzungen, dass die ungarische Polizei vor allem an der Theiss die Leute immer brutaler zurückprügelt – und auch bissige Hunde ohne Maulkörbe auf sie hetzt.“

Einzelreisende hätten in Horgos kaum eine Chance, erzählt der 22-jährige Samir: „Sie lassen von uns nur einen pro Tag durch.“ Nach 25 Tagen konnte sich der afghanische Student am Morgen zwar am Ziel seines Warte-Martyriums wähnen. Der Einlass durch das Drehkreuz wurde ihm aber nur wenige Stunden gewährt. Nach Abnahme der Fingerabdrücke wurde er abgewiesen und durch eine kleine Tür wieder auf die serbische Seite der Grenze befördert: „Sie sagten, dass sie mich ein halbes Jahr ins Gefängnis stecken, wenn sie mich noch einmal an der Grenze erwischen.“

Der vermeintlich durchlässigen „Transitzone“ schreibt Djurović eine Alibifunktion zu: Einerseits soll sie den Druck auf den Zaun mindern, andererseits die Illusion schaffen, dass eine legale Einreise nach Ungarn möglich sei. Meist sind es Familien, die in „Klein-Idomeni“ die Warte-Tortur auf sich nehmen. Der Vater von Yasir S. starb bei einem Anschlag in Afghanistan. Nun sind der 17-Jährige und seine Mutter im Niemandsland von Horgos gestrandet. An eine illegale Grenzpassage ist auch wegen des Beinbruchs seiner Mutter nicht zu denken: „Jeder Afghane, der durchgelassen wird, macht uns Hoffnung, dass auch wir einmal an die Reihe kommen.“

Samir hat die Hoffnung verloren. „Die Entführungen, die Selbstmordattentäter – unsere Regierung lügt, wenn sie behauptet, dass das Leben bei uns sicher sei. “ Jeder „normale Mensch“ lebe am liebsten im eigenen Land, sagt er. „Doch bei uns herrscht Krieg. Wo soll ich hin? Was soll ich machen?“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.06.2016)

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