Wo Sebastian Kurz recht hat, und wo er übers Ziel schießt

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Den Vergleich mit Australien hat Kurz allzu weit hergeholt. Seine Insellösung für die Flüchtlingskrise aber ist nicht so abwegig, es gibt sie bereits in der Ägäis.

Das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR hat Europas Bürgern am Dienstag eine Horrorzahl auf den Frühstückstisch gelegt: Seit 2014 sind mehr als 10.000 Migranten im Mittelmeer ertrunken. Allein heuer starben wieder mehr als 2800 Menschen auf ihrer gefährlichen Überfahrt. Dieses Massensterben vor den Toren Europas muss gestoppt werden. Darüber sind sich hoffentlich alle einig. Nur wie dieses moralische Gebot zu erfüllen ist, daran scheiden sich die Geister.

Außenminister Sebastian Kurz hat in der „Presse am Sonntag“ einen rigorosen Plan vorgelegt. Er setzt auf Abschreckung, um die von Schleppern organisierten Massenüberfahrten zu unterbinden. Demnach sollen Patrouillen die Bootsflüchtlinge abfangen und entweder zur sofortigen Rückkehr zwingen oder bis zu deren Abschiebung auf Inseln festsetzen. Die Rettung aus Seenot dürfe nicht mit einem Ticket nach Europa verbunden sein, fordert Kurz.

Und wer versucht, illegal in Europa einzureisen, dem will er das Asylrecht entziehen. Spätestens ab diesem Punkt geht Kurz zu weit. Denn diese Sanktion ist willkürlich. Nicht einmal Kurz kann wie Gott international verbriefte Grundrechte geben und nehmen. Davor müsste er die Genfer Flüchtlingskonvention umschreiben.

Zu Kritik lud Kurz ferner ein, indem er sich auf Australien als Vorbild bezog. Die australische Marine lässt gar keine Bootsflüchtlinge mehr an Land, sondern schleppt sie zurück oder bringt sie ans Ende der Welt: In Nauru oder Papua-Neuguinea sitzen immer noch Hunderte Menschen unter teils unwürdigen Bedingungen fest, ohne Chance, je einen Asylantrag in Australien stellen zu können. Manche verbrannten sich aus Verzweiflung.

Anderseits ist laut der Regierung in Canberra seit 2014 kein Bootsflüchtling mehr vor der Küste ums Leben gekommen. Australien gelang es mit harschen Maßnahmen, die illegale Einreise abzustellen. Der Preis dafür ist in jeder Hinsicht hoch. Doch ihr moralisches Konto laden die Australier zumindest zum Teil wieder auf, indem sie jährlich rund zehntausend Flüchtlinge direkt aus Kriegsgebieten holen.

Auch Kurz möchte sich nicht aus der humanitären Verantwortung stehlen. In der „ZiB2“ erklärte er sich öffentlich bereit, pro Jahr 15.000 Menschen im Zuge von Neuansiedlungsprogrammen des UNHCR aus Flüchtlingslagern nach Österreich zu lotsen, deutlich mehr also als viele andere wohlhabende Staaten.

Man mag der (einzigen) Zukunftshoffnung der ÖVP alle möglichen innenpolitischen Motive für seine Positionierung als Hardliner-Herzchen unterstellen, aber ein Grundgedanke zieht sich bei ihm seit Beginn der Flüchtlingskrise durch: Er will mit Eifer Ordnung in ein Migrationssystem bringen, das außer Kontrolle geraten ist, auch mit Härte, wenn es sein muss. Er will nach dem Vorbild angelsächsischer Einwandererstaaten, dass die EU selbst entscheidet, wen sie auf ihr Territorium lässt. Dabei spielen Sicherheitserwägungen ebenso eine Rolle wie ein ausgeprägtes Gespür für Stimmungen im Land.


Kurz hat seinen Vorstoß mit zu viel Schwung vorgetragen und rhetorisch überdreht. Der Vergleich mit Australien war nur schlagzeilentechnisch geschickt. Und die Idee, illegal eingereisten Migranten das Asylrecht zu entziehen, brachte ihn auf eine moralisch und völkerrechtlich abschüssige Bahn.

Doch auch seine Gegner übertreiben. Denn nüchtern betrachtet, hat er eine Diskussion vorangetrieben, die längst im Gang ist. Auch das Abkommen zwischen der EU und Ankara sieht vor, dass Migranten in Aufnahmezentren auf griechischen Inseln festgehalten und von dort zurück in die Türkei geschickt werden. Die Vereinbarung mag wanken und den Launen von Präsident Erdoğan ausgesetzt sein, doch bis jetzt funktioniert sie. Derzeit legen pro Woche nur noch etwas mehr als 200 Migranten von der türkischen Küste ab. In der Ägäis existiert die Insellösung bereits, nur ist sie nicht nach Australien benannt. Die EU will das Modell nun ausrollen und Partnerstaaten in Afrika und Nahost mit Milliardenanreizen dazu bewegen, Migranten aufzuhalten oder zurückzunehmen. Doch darüber regt sich kaum jemand auf. Vielleicht, weil den meisten klar ist, dass es so wie bisher auch nicht weitergehen kann.

E-Mails an: christian.ultsch@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.06.2016)

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