„Flucht aus Syrien ist wie ein ständiger Blutverlust“

SYRIA-CONFLICT
SYRIA-CONFLICTAPA/AFP/THAER MOHAMMED
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Der Franziskanerpater Ibrahim Alsabagh berichtet vom täglichen Überlebenskampf in Aleppo.

Wien. Der syrische Geistliche lehnt sich zurück und atmet tief durch. „Das ist hier ein kleiner Garten Eden“, meint Pater Ibrahim Alsabagh und lächelt. Der Franziskaner sitzt im begrünten Hof des Wiener Franziskanerklosters, genießt die Ruhe und die – wie er sagt – saubere Luft. Dort, wo er das ganze Jahr über lebt, gibt es keine Ruhe. Denn er kommt aus der umkämpften nordsyrischen Stadt Aleppo. Nun ist Pater Ibrahim einige Tage zu Gast in Wien, auf Einladung der Hilfsorganisation Kirche in Not, die Projekte in Syrien unterstützt. Am Freitag wird er um 20:30 Uhr in der Schottenkirche (Freyung) einen Vortrag halten.

Die Einschläge von Raketen und Granaten rauben den Menschen von Aleppo ihren Frieden – und die Luft zum Atmen. „Durch die Explosionen und den Ausstoß der Dieselgeneratoren zur Stromerzeugung wird die Luft verpestet“, berichtet Pater Ibrahim. „Viele leiden unter Husten, den sie monatelang nicht loswerden.“

Der Franziskaner wohnt im westlichen Teil Aleppos, der von der syrischen Regierung kontrolliert wird. Dort leben 50.000 Christen. Vor dem Krieg seien es dreimal so viele gewesen. Obwohl in Syrien Waffenruhe gilt, toben rund um Aleppo schwere Gefechte. Syriens Regierungstruppen fliegen mit russischer Hilfe Luftangriffe auf die von den Aufständischen kontrollierten Stadtteile. Aber auch die vom Regime gehaltenen Bezirke liegen unter Beschuss.

„Wir werden von fundamentalistischen Gruppen mit Raketen und Granaten attackiert“, klagt Pater Ibrahim. „Sie behaupten, gegen die Regierung zu kämpfen, aber sie greifen Zivilisten an.“ Rund um Aleppo sind auch Einheiten des Islamischen Staats (IS), der zu al-Qaida gehörenden al-Nusra-Front und anderer Rebellenmilizen mit teilweise jihadistischer Ideologie im Einsatz. Sie werden von den Christen als Bedrohung gesehen.

Junge verlassen die Stadt

„Aleppo ist heute eine Stadt der alten Menschen“, erzählt Pater Ibrahim. „Viele junge Familien sind aus Angst um ihre Kinder geflohen. Das wirkt sich natürlich auf die Zusammensetzung der Gesellschaft aus und ist ein Problem für die Zukunft.“ Die Flucht der Menschen aus Syrien sei für das Land wie ein „ständiger Blutverlust“, sagt der Franziskaner. „Je rascher der Krieg beendet und der Wiederaufbau gestartet wird, desto größer ist die Chance, dass die geflohenen Menschen auch wieder zurückgehen werden.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.06.2016)

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