Sommer 1939: Piefke, ostmärkische "Lahmärsche"

Protest gegen die Ausstellung ''Verbrechen der Wehrmacht''
Protest gegen die Ausstellung ''Verbrechen der Wehrmacht''(c) AP (UWE LEIN)
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Die österreichischen Soldaten in der deutschen Wehrmacht – wenige Tage vor Kriegsbeginn.

August 1939. Seit mehr als einem Jahr dienen nun schon die österreichischen Wehrpflichtigen in der deutschen Wehrmacht. Keiner ahnt, dass ihnen nur noch wenige Tage bleiben, bevor ihr Landsmann, der „Führer und Reichskanzler“ in Berlin, am 1. September den Angriff auf Polen befiehlt. Die Furien des Krieges, von Adolf Hitler einmal entfesselt, werden die Welt in Brand setzen. Am Ende des Blutbades 1945 müssen 261.000 aus der „Ostmark“ stammende Soldaten als Gefallene beklagt werden.

Bertrand Michael Buchmann hat in einer bemerkenswerten Studie Schicksale einiger österreichischer Kriegsteilnehmer nachgezeichnet. Insgesamt waren es im Verlauf dieser mörderischen fünfeinhalb Jahre 1.309.000 Mann, die Hitler in den Krieg schickte.

Preußischer Charme – weltberühmt

Rudolf Seewald ist einer von ihnen. Er hat überlebt. Nach der Rekrutenausbildung kommt er nach Jüteborg und lernt dort preußischen „Charme“ hautnah kennen: „Eben vom Bahnhof kommend, einen großen Koffer in der linken Hand, begegnete ich auf dem Dorfplatz einem Soldaten im Drillichanzug. Dabei übersah ich Unglücklicher seine Unteroffizierslitzen. Das Gebrüll war fürchterlich, und ich fand mich, den Koffer immer noch in der Hand, hundert Meter weit über den Dorfplatz robbend.“

Die „schlappen Ostmärker“ auf Trab zu bringen, das war offizieller Auftrag der Wehrmachtsführung seit dem „Anschluss“ im März 38. Die Träume der Österreicher hatten sich ja innerhalb weniger Tage in nichts aufgelöst. Zunächst glaubte noch der nationalsozialistische Zwei-Tage-Bundeskanzler Arthur Seyß-Inquart, Österreich werde als eigenständiges Staatsgebilde – unter einem gemeinsamen Staatsoberhaupt Adolf Hitler – bestehen bleiben. Nichts da: Der gebürtige Landsmann aus Braunau schluckte seine Heimat als leichte Beute und stufte sie zur Provinz herab.

Aber auch die Soldaten und Offiziere der Ersten Republik machten sich falsche Hoffnungen. Ein Weiterleben der alten Armee innerhalb seiner Wehrmacht war das Letzte, was dem „Führer“ vorschwebte, auch keine k.u.k. Reminiszenzen. Als der NS-freundliche Generalmajor Alexander de Angelis in Berlin bat, den österreichischen Offizieren doch ihre Offizierssäbel zu lassen, holte er sich eine rüde Abfuhr. Hitler war nur an der gesteigerten Wehrkraft interessiert. Und die betrug ja immerhin ein Zehntel: 1939 betrug die Friedensstärke der Wehrmacht 1,13 Millionen Mann, davon standen in der „Ostmark“ 98.000 Mann.

440 Offiziere mussten gehen

Die hatten jetzt zwei Jahre Wehrdienst abzuleisten, statt wie bisher ein Jahr. Ab 1. April 1938 galt auch die deutsche Besoldungsregelung, die freilich besser als die österreichische war. Die Dienstzeit im rot-weiß-roten Bundesheer wurde angerechnet, der Dienstgrad blieb erhalten.

„Unzuverlässiges“ Führungspersonal war zu diesem Zeitpunkt längst in Pension geschickt worden. Das betraf 440 Offiziere. Jeder zweite österreichische General musste gehen, viele Offiziere mussten Kürzung oder gänzliche Streichung ihrer Pension hinnehmen und froh sein, nicht im KZ zu landen.

„Ostmärkische Trauerfiguren“

Und die einfachen Soldaten? Sie galten den Preußen schon seit dem Ersten Weltkrieg als „Kamerad Schnürschuh“, was die „Ostmärker“ mit dem Wort „Saupreuß“ all jenen vergalten, die nördlich der Mainlinie angesiedelt waren. Der Wiener Alfred Pietsch war zweifellos nicht der Einzige, der folgendes Erlebnis mit seinem Oberfeldwebel hatte: „Ich bin für eure Ausbildung verantwortlich. Ihr seid alle scheiß Wiener Schlappschwänze!“ Und beim Exerzieren brüllte der „Spieß“: „Ihr lahmen Ärsche, ihr ostmärkischen Trauerfiguren! Könnt wohl nur Wiener Walzer tanzen!“

Der blanke Hass muss es mancherorts gewesen sein. Im Offizierskorps dürfte es zwar gesitteter zugegangen sein, aber nicht immer, wie Rudolf Biedermann erzählt. Fünf Absolventen der Theresianischen Militärakademie melden sich in Ulm bei ihrem Regimentskommandeur. Der Oberst muss die von Hitler und seinen Paladinen angestrebte „Volksgemeinschaft“ irgendwie missverstanden haben: „Sie wollen also preußische Offiziere werden. Ich hoffe, dass Sie es als unverdiente Ehre empfinden, als Österreicher in einem deutschen Regiment dienen zu dürfen. Sie haben sich so rasch wie möglich die üblichen österreichischen Unsitten, das schlappe, gemütliche Wesen und den scheußlichen Dialekt abzugewöhnen! Auf Ihre Privatbesuche in meinem Hause lege ich keinen Wert, und wenn Sie doch bei einem der Herren Offiziere eingeladen werden sollten, dann merken Sie sich: Mit dem Messer wird bei uns nicht gefressen!“

Als Gegenbeispiel zitiert Buchmanns Studie den Wiener Martin Lindner, der an seine Familie schrieb: „Die norddeutschen Offiziere lieben besonders die Wienerlieder – es ist zum Totlachen, mit welcher Begeisterung sie unseren Dialekt nachsingen . . .“

Die „besseren Deutschen“?

Die Gegnerschaft, die sogar heute noch bisweilen anklingt – nicht nur beim Fußball – und ihre Wurzel in der österreichischen Niederlage bei Königgrätz hat, war in der Wehrmacht durchaus gegenseitig und dürfte mit Lust gepflegt worden sein. Für die österreichischen Soldaten stellte sich das Dilemma so dar: Zwischen 1934 und 1938 predigte ihnen der „Ständestaat“, sie seien als südöstlichster deutscher Volksstamm eigentlich die besseren Deutschen. Auf jeden Fall aber etwas ganz Besonderes im deutschen Kulturkreis. Jetzt war plötzlich alles ganz anders. Ein bitterer Lernprozess. Nicht nur der preußische Generaloberst Rundstedt sah in Hitlers „Beutegermanen“ ganz schleißiges Soldatenmaterial. „Haben Sie schon Ihre Landsleute von der Gebirgsdivision hier in Koblenz herumhatschen gesehen?“, blaffte er den österreichischen Offizier Max Stiotta an. „Das sind ja keine Soldaten, die hätten zu Hause bleiben sollen.“

Drei Meter Respektabstand

Drei Monate dauerte für die Rekruten die Grundausbildung unter dem Motto: „Der Soldat gleicht einem Edelstein. Je mehr geschliffen wird, umso mehr glänzt er.“ Der Österreicher Hubert Schmid empfand die dauernden Erniedrigungen als besonders schmerzlich: Zu einem Vorgesetzten hatte man strikt drei Meter Abstand zu wahren. „Wenn man an einem Unteroffizier vorbeieilen musste, aber der Gang nicht die Breite von drei Metern hatte, musste man stehen bleiben, sich aufbauen und laut Dienstvorschrift melden: ,Ich bitte Herrn Unteroffizier, vorbeigehen zu dürfen.‘ Worauf sich dieser umdrehte und schrie: ,Mensch, was heißt hier vorbeigehen, Sie Lahmarsch, Sie müssen vorbeiflitzen, dass der rechte Haken mit dem Brotbeutel eine Gerade bildet, und das werden wir gleich üben!‘“

Länger leben mit besserem Drill

Den Sinn dieses Drills sollten sie erst später begreifen: Der Soldat musste in Extremsituationen wie eine Maschine funktionieren. Über die Selbstmorde von Rekruten aus Verzweiflung gibt es keine Angaben, auch Buchmann bleibt hier vage. Bessere Überlebenschancen hatten eindeutig jene, die hart und ausführlich gedrillt worden waren – solange dafür eben noch Zeit war: Von den Soldaten, die den Krieg nicht überlebten, hatten jene des Einrückungsjahrgangs 1939 immerhin noch 4,1 Kriegsjahre hinter sich bringen können. Diese schaurige Statistik zeigt, dass die Lebensdauer dramatisch sank, als die Grundausbildung immer mehr verkürzt werden musste. „Alte Hasen“ mit einer gewissen Kriegserfahrung hatten bessere Chancen als jene Rekruten in der Endphase, die das Schicksal – und der „Führer“ – zum „Kanonenfutter“ bestimmt hatte.

Grausiger Tod in Stalingrad

Die Behauptungen, nichts hätte sich mehr am Kriegsverlauf geändert, wäre das Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 geglückt, werden durch Zahlen widerlegt. Zwischen 1941 und Juni 1944 starben an der Ostfront täglich 1500 deutsche Soldaten, rechnet Buchmann nach. „Ab Sommer 1944 lagen die durchschnittlichen Monatsverluste bei 200.000 Mann. Allein im Jänner 1945, dem blutigsten Kriegsmonat, starben auf allen Kriegsschauplätzen 452.000 Landser.“

Und überall waren „Ostmärker“ dabei. Während der Gesamtdauer des Zweiten Weltkriegs wurden dreißig Geburtsjahrgänge (1897 bis inklusive 1927) in die Wehrmacht oder zur Waffen-SS einberufen. In der VI. Armee des Generals Friedrich Paulus gab es ganze Divisionen, die vorwiegend aus Österreichern bestanden. Drei davon gingen im Endkampf um Stalingrad (31. Jänner/2. Februar 1943) völlig zugrunde – 40.510 Mann.

Soeben erschienen:
Bertrand Michael Buchmann:Österreicher in der Deutschen Wehrmacht – Soldatenalltag im Zweiten Weltkrieg, Böhlau Verlag, 319 S., 24,90 Euro.

„ICH SCHWÖRE BEI GOTT DIESEN HEILIGEN EID ...“ – DAS ENDE DES 1. BUNDESHEERES

Am 14. März 1938 wurde das Bundesheer der Ersten Republik in Hitlers Armee eingegliedert. Der neue Staatssekretär Oberst Maximilian de Angelis vereidigte die Offiziere im Kriegsministerium (Bild). Und in allen österreichischen Kasernen wurden die Soldaten auf den neuen Machthaber persönlich verpflichtet: „Ich schwöre bei Gott diesen heiligen Eid, dass ich dem Führer des Deutschen Reiches und Volkes, Adolf Hitler, dem obersten Befehlshaber der Wehrmacht, unbedingten Gehorsam leisten und als tapferer Soldat bereit sein will, jederzeit für diesen Eid mein Leben einzusetzen.“

126 Offiziere verweigerten. Davon waren 123 nach den Nürnberger Rassegesetzen „Nichtarier“. Nur drei weigerten sich aus politischen Gründen. Einer davon war der Kommandant der Theresianischen Militärakademie, Generalmajor Rudolf Towarek. Er wurde ehrenvoll pensioniert und durfte weiterhin die Uniform tragen.

Karrieren. 220 Österreicher brachten es in Hitlers Armee bis zur Generals-Charge (es gab 2000 deutsche Generäle). 49 österreichische Generäle fielen, fünf wurden später als Kriegsverbrecher hingerichtet; darunter Alexander Löhr durch die Tito-Partisanen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.08.2009)

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