Nach außen hin unterstützt der Kreml Bewegungen, die die EU schwächen – doch die Sache mit dem Brexit ist komplizierter.
Moskau. In den vom Kreml kontrollierten Medien wird üblicherweise jede Möglichkeit genutzt, die Schwäche der EU auszuschlachten. Damit ist auch der Brexit ein Thema, ähnlich wie einst das schottische Unabhängigkeitsreferendum oder der Aufstieg EU-feindlicher Parteien, über das ausführlich berichtet wird. Gegnern des Verbleibs Großbritanniens in der EU wird breiter Raum gegeben – und wenn Premier David Cameron wie kürzlich von den Teilnehmern einer TV-Show der Kopf gewaschen wird, sind das Bilder, die die Medien genüsslich ausbreiten.
Ein potenzieller Brexit mag nach außen hin wie ein willkommenes Propagandageschenk für Präsident Wladimir Putin wirken. Offiziell hat sich Putin nicht zum britischen Ausstieg geäußert, getreu dem Motto, Russland mische sich doch nicht in innere Angelegenheiten eines EU-Landes ein. Umstritten ist, inwieweit dem Kreml in der Praxis tatsächlich ein Ausstieg Großbritanniens gelegen käme.
Zwar ist das bilaterale Handelsvolumen gering und die diplomatischen Beziehungen spätestens seit dem Mord am früheren KGB-Agenten und Kreml-Kritiker Alexander Litwinenko angespannt. Zudem gilt die Regierung in London als überzeugte Verfechterin von Sanktionen gegen Moskau wegen der Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim und der militärischen Unterstützung von Separatisten im Donbass.
Oligarchengeld und gesuchte Männer
Doch London ist nicht nur Heim von in Russland gesuchten Männern – wie dem verstorbenen Boris Beresowskij, Tschetschenenpolitiker Achmed Zakajew oder dem Banker Andrej Borodin –, hierher haben Oligarchen ihr Vermögen transferiert und russische Firmen sind an der Londoner Börse notiert. Sollte Großbritannien aus der EU austreten, könnten sich die politischen Spielregeln und Sicherheiten auf dem Finanzplatz London ändern – mit Verlierern und Gewinnern auf russischer Seite. Und die EU droht bei einem Ausstieg Großbritanniens stärker von Deutschland geprägt zu werden – eine Entwicklung, die Moskau wenig attraktiv findet. (som)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.06.2016)