Kein Land in Europa gibt so viel Geld für die Unterstützung ärmerer Länder aus wie Schweden. Diese Art von Solidarität hat seit den 1970er-Jahren Tradition. Die Flüchtlingskrise stellt nun aber vieles infrage.
Stockholm/Wien. Das beste Land der Welt? Für den britischen Politikberater Simon Anholt steht die Antwort fest: Schweden. Der nordische Staat stand in diesem Jahr an erster Stelle seines Good-Country-Index“ einer Liste von 163 Ländern, die auf Grundlage von 35 Indikatoren darauf geprüft werden, welchen Beitrag sie für die Menschheit als Ganzes leisten. „Schweden ist so etwas wie die Elite, wenn es darum geht, an den Rest der Welt zu denken“, zitierte die schwedische Zeitung „The Local“ den Index-Erfinder.
Tatsächlich genießt Stockholm international den Ruf, besonders solidarisch und großzügig zu sein. Das zeigt sich auch in blanken Zahlen – Beispiel Entwicklungshilfe: Kein Staat in Europa gibt so viel Geld für die Unterstützung ärmerer Ländern aus wie Schweden. Im vergangenen Jahr betrug Stockholms öffentliche Entwicklungszusammenarbeit (ODA) mit 7,5 Milliarden Euro 1,4 Prozent des Bruttonationaleinkommens (BNE) – und damit weit mehr als das von den Vereinten Nationen und der Europäischen Union deklarierte Ziel von 0,7 Prozent. Nur vier weitere EU-Länder (Luxemburg, Dänemark, Niederlande und Großbritannien) erreichten diese Marke. Zum Vergleich: Österreich kam auf 0,32 Prozent (1,1 Mrd. Euro).
Die Rolle der Sozialdemokratie
Der schwedische Spitzenplatz des vergangenen Jahres ist längst kein Ausrutscher nach oben: Bemüht man noch einmal das Kriterium von 0,7 Prozent, so liegt Schweden seit 1975 beständig darüber. Die Sozialdemokratie unter dem damaligen Ministerpräsidenten, Olof Palme, setzte in den 1970er-Jahren auf internationale Solidarität und Unterstützung für die neuen, unabhängigen Staaten, die den Kolonialismus hinter sich gelassen hatten. Wie Bundeskanzler Bruno Kreisky in Österreich und Willy Brandt in Deutschland bemühte er sich um den Ausgleich zwischen Nord und Süd. Und nicht nur das: „Es ging auch darum, Schweden auf internationaler Ebene gut zu positionieren“, sagt Michael Obrovsky vom der Österreichischen Forschungsstiftung für Internationale Entwicklung (ÖFSE) – mit Erfolg. Das Land hat mehr internationalen Einfluss, als man bei der Größe (9,7 Millionen Einwohner) und der geografischen Lage am nördlichen Rand Europas erwarten würde.
Bis heute gilt in der schwedischen Entwicklungspolitik der Grundsatz, mindestens ein Prozent des BNE für arme Länder zur Verfügung zu stellen. Ein Schwerpunkt ist nach wie vor die Hilfe für die afrikanischen Staaten südlich der Sahara. Neue Themen sind hinzugekommen: Umweltschutz und der Kampf gegen den Klimawandel zum Beispiel. Und seitdem die rot-grüne Regierung von Premier Stefan Löfven eine „feministische Außenpolitik“ ausgerufen hat, soll auch die Förderung von Frauen noch weiter in den Fokus rücken: Die Entwicklungshilfeagentur Sida wurde angewiesen, mehr Geld in Entwicklungsprojekte zu investieren, die Geschlechtergerechtigkeit als Hauptziel haben.
Faktor Flüchtlingskrise
Die schwedische Solidarität mit Menschen in Not hat sich im vergangenen Jahr auch in der Flüchtlingskrise gezeigt: Mit über 160.000 Asylwerbern hat das Land pro Kopf mehr Schutzsuchende aufgenommen als jedes andere EU-Mitglied. Das allerdings könnte gravierende Auswirkungen haben: Nach den Kriterien der Organisation für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit (OECD) dürfen die Kosten für die Betreuung von Asylwerbern in die Entwicklungshilfe eingerechnet werden. Mit der Ankündigung, man erwäge eine Kürzung der Entwicklungshilfe um bis zu 60 Prozent zugunsten der Flüchtlinge in Schweden, löste das im Finanzministerium in Stockholm einen Aufschrei aus.
Das Außenministerium unter Margot Wallström warnte daraufhin, Schwedens Ruf und die internationale Glaubwürdigkeit könnten schweren Schaden nehmen. Noch allerdings ist es nicht so weit: Auch wenn man die schwedischen Ausgaben für die Flüchtlingsbetreuung außer Acht lässt, ergibt sich für das vergangene Jahr laut OECD eine Steigerung der schwedischen Entwicklungszusammenarbeit um fast zehn Prozent.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.06.2016)