Wachsame Gesellschaft, keine Hilfspolizisten

Das deutsche Bundesland Rheinland-Pfalz testet neue Formen der Bürgerbeteiligung.

Vertrauen, das ist eines der Schlagworte, von denen Christian Hamm gern spricht. Vertrauen in die Polizei, darauf hätten die Bürger ein Recht, so wie auch auf Antworten. Und da, meint er, brauche es aufseiten der Exekutive „eine Philosophie des Erklärenwollens, nicht nur des Erklärenmüssens“. Wie das erreicht werden kann, hat er in seiner Masterarbeit über Chancen und Risken der Bürgerbeteiligung geschrieben. Der Dozent der Hochschule der Polizei Rheinland-Pfalz gilt als Pionier im Bereich Umgang der Exekutive mit den Bürgern.

Für ihn geht es darum, dass die Polizei aktiv auf die Bürger zugehen muss – und ihre Expertise auch nutzt. „Neun von zehn Straftaten erfahren wir nur, weil uns jemand darauf hinweist“, meint er. Umso wichtiger sei es, im regelmäßigen Kontakt zu stehen und zuzuhören, was den Menschen auffällt, sei es ein Ort, an dem Probleme auftreten, sei es jemand, der sich verdächtig verhält. „Wir wollen eine wachsame Gesellschaft“, sagt Hamm, „aber Hilfspolizisten sollen es keine sein.“ Wichtig sei, dass sich die Leute vertrauensvoll an die Polizei wenden können. Das passiere vor allem dann, wenn die Menschen sie tatsächlich als Freund und Helfer betrachten.

Eine seiner Ideen ist jene der Sicherheitsberater – extra geschulte Menschen, die etwa Senioren präventiv beraten, indem sie sie etwa für den Enkeltrick sensibilisieren. Dafür werden geeignete Personen, häufig sind es pensionierte Polizisten, eingesetzt, die die Tätigkeit in offizieller Funktion ehrenamtlich ausüben.

Regionale Bürger als Experten. Im Rahmen der AG Bürgerbeteiligung werden in Rheinland-Pfalz auf Basis von Hamms Ideen drei verschiedene Modelle des aktiven Umgangs mit der Bevölkerung ausprobiert. Bei Bürgerforen kommen Polizei und andere Behörden regelmäßig mit den Bewohnern zusammen. Sie können dort Anregungen geben, wo man genauer hinschauen sollte, etwa wo es Angsträume gibt. Daneben gibt es die sogenannte mobile Wache, also Streifenpolizisten, die aktiv Bürger ansprechen. „Die Polizei hat sehr viel zu tun, gerade die anlassunabhängige Streife ist sehr eingeschränkt“, sagt Nicole Fricker, Geschäftsführerin der AG Bürgerbeteiligung. „Für uns ist da der regionale Bürger der Experte, etwa die Oma am Fenster, die etwas beobachtet hat.“ Schließlich gibt es als drittes Projekt sogenannte Polizeibeiräte – dort beraten Polizei und Vertreter der Kommunen über regionale Probleme.

All diese Kommunikationsformen sollen dafür sorgen, dass Menschen gar nicht erst das Gefühl haben, dass sie sich selbst organisieren müssen, etwa in einer Bürgerwehr. Denn sie will man nicht – „das Gewaltmonopol“, sagt Fricker, „muss bei der Polizei bleiben.“ Geht es nach Christian Hamm, sind all diese Projekte aber nur Zwischenstufen. Über kurz oder lang müsse der Bürgeransatz in sämtliche strategischen Prozesse eingebaut werden. Soll heißen, dass künftig bei jedem Problem, mit dem die Polizei konfrontiert ist, automatisch geprüft werden soll, in welcher Weise Bürger bei der Aufklärung mithelfen können.

Forum & Serie: Wie sicher ist Österreich?

Im Rahmen der Serie "Wie sicher ist Österreich?" untersucht die "Presse" die aktuelle Entwicklung der Kriminalität in Österreich. Teilen und Diskutieren Sie im Forum zur Serie Ihre Erfahrungen und Verbesserungsvorschläge:>> Forum Wie sicher ist Österreich?>> Bisherige Artikel der Serie: diepresse.com/sicherheit

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.06.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Symbolbild
Österreich

Forum: Wie sicher ist Österreich?

Forum Hier können Erfahrungen und vor allem konstruktive Verbesserungsvorschläge geteilt und diskutiert werden.
Symbolbild
Österreich

Einbrüche: Ist wirklich alles wieder gut?

Die Polizei hat einen Teil der Diebesbanden in Nachbarländer verdrängt. Wie unscharf die Entwicklung der Statistik die Realität abbildet, zeigt die Geschichte eines viermaligen Opfers.
Durch die unübersichtliche und schwer kontrollierbare Zahl an Personen fallen Diebe in Spitälern kaum auf.
Österreich

Patienten als leichtes Opfer für Diebe

Krankenhäuser in Wien werden immer wieder von Serientätern heimgesucht, die die Anonymität in den Stationen nutzen und vor allem älteren Patienten Geld und Schmuck stehlen.
Christa Edwards
Österreich

Jugendrichterin: „Neues Drogengesetz nicht das richtige Mittel“

Die Chefin der Fachgruppe Jugendrichter, Christa Edwards, kritisiert das von der Polizei heiß ersehnte Drogengesetz und spricht sich gegen U-Haft für Kleinhändler aus. Und sie fordert die Wiedererrichtung des Jugendgerichtshofes.
Der Beginn eines neuen Verhältnisses zwischen Bürgern und Exekutive? Polizei-Kontaktbeamter Klaus Göschl (l.) mit den Sicherheitsbürgern von Laxenburg, Angelina Shakin und Walter Tesch.
Wien

Bürger und Polizei gehen auf die Beziehungscouch

Das Vertrauen der Bevölkerung in die Staatsgewalt sinkt. Vier Bezirke im Land werden nun zu Labors, in denen die Beziehung verbessert werden soll.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.