Was Menschen für Geld alles machen

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Die europäische Biennale Manifesta ist in Zürich eingefallen. Ihr Leiter, mit Christian Jankowski erstmals ein Künstler, spannte Künstlerkollegen mit "normalen" Brotberuflern zusammen. Etwa Autor Michel Houellebecq mit Ärzten.

Der Geruch ist streng. Auch das Gebläse des Luftreinigers vor der Tür kann daran nichts ändern. Hinter der Tür wird es unerträglich: Quer durch den Raum liegt eine lange Reihe brauner Kuben. Es ist der gesammelte Klärschlamm der 380.000 Einwohner Zürichs von einem Tag. 80 Tonnen Fäkalien, getrocknet und in Stücke geschnitten. Mike Bouchets „Greatness from Small Beginnings“ ist Teil der diesjährigen Manifesta. 1996 als europäische Biennale gegründet, bewirbt sich alle zwei Jahre eine neue Stadt. Vergangenes Jahr bekam St. Petersburg den Zuschlag, heuer Zürich. Dafür wurde erstmals ein Künstler als Kurator eingeladen: Christian Jankowski, der gern mit kunstfernen Professionen zusammenarbeitet. Für seinen Biennale-Venedig-Beitrag 1999 befragte er etwa italienische TV-Wahrsagerinnen, ob das Werk erfolgreich sein wird, 2012 überredete er Mitarbeiter des Vatikans zu einem Jesus-Casting. Die 11. Manifesta ist jetzt eine Fortsetzung dieser Strategie.

Motto: „What people do for money“

Unter dem Titel „What people do for money“ mussten sich 30 Künstler mit Erwerbstätigen zusammenschließen, um neue, als „Satelliten“ über die Stadt verteilte Werke zu entwickeln. Marco Schmitt etwa drehte mit der Kantonspolizei ein kurioses Video in Anlehnung an Luis Buñuels „Würgeengel“. Franz Erhard Walther entwarf knallorange, „halbierte Westen“ für Mitarbeiter des Hotels Park Hyatt, und Andrea Eva Györis verarbeitete ihre Eindrücke eines Orgasmusworkshops in wilden Zeichnungen. „Die Künstler gehen mit den Gastgebern auf eine gemeinsame Reise“, erklärte Jankowski das Konzept, das im Vorfeld jede Menge Kritik hervorrief. Viele zweifelten an einem schöpferischen Endergebnis – zu Unrecht, wie jetzt zu sehen ist. Im Gegenteil: Gerade nach dem Lifestyle-Desaster mit viel kulissenhafter Kunst auf der heurigen Berlin Biennale begeistert die Manifesta mit neuem Ansatz, gelungener Vermittlung und vor allem großartigen Werke.

So greift Bouchet den kuratorischen Anspruch, die ganze Stadt in die Manifesta einzubinden, perfekt auf in seinem verdichteten Fäkal-Porträt von Zürich. Der US-Amerikaner Jon Kessler suchte sich einen Uhrmacher aus, der ihm ein kleines Räderwerk baute. Jetzt steht im Geschäft Les Ambassadeurs eine wilde Kuckucksuhr. Auf Monitoren sieht man animierte Vögel im Flammenmeer, dazu eine Panoramaaufnahme von Zürich, rotierende Federn – alles angetrieben von dem kleinen Uhrwerk: ein Bild für Machtverhältnisse, Technisierung, unsere „durchgeknallte Welt“, wie es Kessler nennt.

Houellebecqs Untersuchungen

Von ganz anderer Härte ist Santiago Sierras „Geschütztes Gebäude“: Zusammen mit einem Militärberater ließ er das Helmhaus für einen Krieg befestigen. Die eigentlich offenen Fenster der ehemaligen Markthalle sind mit Holz, Stacheldraht und Sandsäcken verbarrikadiert. Im Inneren sind auch die Arbeiten zu finden, die Michel Houellebecq in Kooperation mit der Privatklinik Hirslanden anfertigte, wo er Stapel von tabellarischen Auswertungen seines Gesundheitschecks auflegte. Wer diese lesen kann, kennt jetzt jedes Gesundheitsproblem des französischen Starliteraten. Im verbarrikadierten Helmhaus selbst zeigt Houllebecq nur die bildlichen Ergebnisse der Untersuchungen von Kopf, Herz, rechtem Arm – jenen Teilen, die man mit dem Schreiben von Literatur verbinden kann.

Damit sind wir beim zweiten Teil der Manifesta: Neben den „Satelliten“ zeigt jeder Künstler ein weiteres Werk in einem Kunstraum (Migros-Museum, Kunsthalle, Helmhaus). Was sich im Vorfeld als Problem herausstellte: Wie kann man all die Kooperationen sinnvoll nebeneinander arrangieren? Dafür holte sich Jankowski Francesca Gavin als Ko-Kuratorin. „Sie hat mich gerettet“, gab er auf der Pressekonferenz zu. Denn Gavin entwarf eine Parallelausstellung mit weiteren 100 Künstlern zu Themen wie „Porträts von Berufen“ mit Werner Büttners Fußballern, „Arbeitswelten“ mit Gurskys Fotografie von Siemens-Arbeitern, aber auch „Kunst ohne Künstler“ mit Thomas Ruffs Sternfotografien, für die er ein Archiv ankaufte.

All diese „historischen“ Werke sind auf frei im Raum stehenden Gerüsten aufgehängt. Für die 30 Neuproduktionen dagegen sind die Wände reserviert, sie bilden die Haut, den Rahmen. Und es gibt noch eine dritte Schiene: Schüler und Studenten dokumentierten erstaunlich unterhaltsam die Entstehung der Neuproduktionen. Diese kurzen Videos laufen jetzt im Pavillon of Reflections, einer eigens entworfenen, im Zürichsee schwimmenden Holzkonstruktion mit Bademeister, Bar und Tribüne.

Dieses Konzept der drei ineinander verschränkten Ausstellungen (Satelliten, Kunsträume, Videos) klingt verwirrend, geht aber perfekt auf. So schafft es die Manifesta, vielfältige Bilder für ein zentrales Ethos nicht nur der Schweiz zu schaffen: Arbeit als wesentliche Säule unserer Gesellschaft. Dass es dabei nicht nur um Gelderwerb, sondern auch um Kreativität und Freude gehen kann, das vereint die Künstler und ihre Gastgeber.

Manifesta: Zürich, bis 18. September.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.06.2016)

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