Der schwerste Mordanschlag in den USA seit dem 11. September 2001 zwingt Präsident Obama und seine beiden potenziellen Nachfolger dazu, sich dem hausgemachten Terrorismus zu stellen.
Washington. Barack Obama fand am Sonntag, nach dem Terroranschlag mit den meisten Todesopfern auf amerikanischem Boden seit dem 11. September 2001, einmal mehr nachdenkliche und einfühlsame Worte: „Das ist eine ernüchternde Erinnerung daran, dass Angriffe auf jedweden Amerikaner – egal, welcher Rasse, Ethnie, Religion oder sexuellen Ausrichtung – Angriffe auf uns alle sind und auf die grundlegenden Werte der Gleichheit und Würde, die uns als Land definieren. Und kein Akt des Hasses oder des Terrors wird jemals ändern, wer wir sind oder was die Werte sind, die uns zu Amerikanern machen.“
Die Worte Islamismus oder islamistischer Terror erwähnte Obama nicht – und das, obwohl der Terrorist Omar Mateen während seines stundenlangen Mordens in einer Schwulendisco in Orlando, Florida, den Polizeinotruf 911 gewählt und sich zum Islamischen Staat bekannt hatte. Obamas Verschweigen verstörte Jack, einen jungen, linksliberalen Washingtoner Homosexuellen, enorm: „Ich fand Obamas Reaktion nicht gut“, sagte er im Gespräch mit der „Presse“. „Man kann nicht so tun, als hätte das überhaupt nichts mit dem Islam zu tun.“
Trump unterstellt Obama Mittäterschaft
Und Donald Trump, der republikanische Kandidat für Obamas Nachfolge, nahm diese Einladung dankend an: „Schauen Sie, wir werden von einem Mann geführt, der entweder nicht hart genug oder nicht schlau genug ist oder der etwas anderes im Schilde führt. Und dieses andere – wissen Sie, die Leute können es nicht glauben. Da ist etwas im Gang“, sagte Trump am Montag.
Im Klartext unterstellt Trump also Obama recht unmissverständlich eine Sympathie für oder geistige Mittäterschaft am Massenmord von Orlando. Das ist absurd und falsifiziert. Doch Trump trifft den wunden Punkt Obamas und auch seiner demokratischen Konkurrentin, Hillary Clinton. Sie sind darum bemüht, der islamistischen, antiwestlichen Propaganda nicht dadurch Auftrieb zu verleihen, dass sie den Eindruck erwecken, alle Muslime würden pauschal verdächtigt. „Wichtig ist, was wir tun, nicht, was wir sagen. Ich werde nicht eine ganze Religion dämonisieren und ihr den Krieg erklären“, sagte Clinton am Montag.
Radikalisierte Minderheiten
Doch die klaren Verbindungen zu islamistischem Gedankengut bei zahlreichen Terroranschlägen der jüngeren Vergangenheit schwächen diese Haltung. Denn entgegen dem stolz gepflegten Mythos vom Schmelztiegel, der aus Einwanderern aller Herren Länder patriotische Amerikaner ohne Anschauung von Religion und Herkunft macht, schotten sich in den USA ebenso wie in Europa manche Muslime fast komplett ab und neigen der Gewaltideologie des Jihadismus zu. Einer der erfolgreichsten Rekrutierer junger Westler für den islamistischen Terrorismus war der 2011 von einer US-Drohne im Jemen getötete, in New Mexico geborene Hassprediger Anwar al-Awlaki. Der Armeearzt Nidal Hassan, der 2009 auf dem texanischen Stützpunkt Fort Hood 13 Menschen erschossen hat, ist ein in Arlington geborener Virginier. Erst vorletzte Woche wurden drei junge Amerikaner somalischer Herkunft in Minneapolis zu möglicherweise lebenslangen Haftstrafen verurteilt, weil sie planten, sich dem Islamischen Staat anzuschließen.
Omar Mateen, der Mörder von Orlando, ist ein Paradebeispiel für Amerikas hausgemachtes Jihadistenproblem: geboren in New York, im Internet radikalisiert, mit legal erworbenen Waffen ausgestattet.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.06.2016)