Russland-Sanktionen: Auf der Suche nach dem Reset-Knopf

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File photo of woman at food fair in Ulyanovka(c) REUTERS (EDUARD KORNIYENKO)
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Der Unmut in der EU über die Russland-Sanktionen wächst. Beim Wirtschaftsforum in St. Petersburg soll Eis gebrochen werden. Die Russen setzen auch auf OMV-Chef Rainer Seele.

Wien. Am Beginn des Jahres Nummer drei seit Einführung der EU-Sanktionen gegen Russland wird die Wahl zwischen Prinzipientreue und einem pragmatischeren Dialog offenbar immer quälender. Zwar bestehen kaum Zweifel, dass die EU-Diplomaten bei ihren Beratungen vor Monatsende die im Juli auslaufenden Sanktionen abermals um ein halbes Jahr verlängern. Deutschland, Italien, Frankreich und Großbritannien hatten sich ja schon im Mai dafür ausgesprochen, weil die Minsker Vereinbarungen zur Beilegung des von Russland unterstützten Separatistenkonfliktes in der Ostukraine nur bruchstückhaft erfüllt würden. Aber wie die „Financial Times“ soeben unter Berufung auf EU-Diplomaten berichtet hat, falle die Einigung nur deshalb so leicht, weil man von einer sukzessiven Lockerung der Sanktionen ab Jahresende ausgehe.

„Einstieg in den Ausstieg“

Bezeichnend, dass gerade Berlin nun eine solche Vorabeinigung dementiert. Aber nicht, weil man keine will, sondern weil man offenbar gar nicht bis zum Jahresende warten möchte. Verbal hat den Schwenk Außenminister Frank-Walter Steinmeier gemacht, als er in der Vorwoche das Ende des „alles oder nichts“ bei den Sanktionen forderte. Soll heißen, dass einzelne Fortschritte in der Umsetzung des Minsker Abkommens mit partiellem Abbau der Sanktionen belohnt werden. Die deutsche Wirtschaft ist ohnehin längst dafür. So plädierte der Vorsitzende des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft, Wolfgang Büchele, am Donnerstag für einen „Einstieg in den Ausstieg“ aus den Strafmaßnahmen.

Die EU ist darin gespaltener denn je. Während die Balten oder etwa Polen für einen harten Kurs eintreten, rücken Italien, Frankreich oder Ungarn mehr davon ab.

Vor diesem Hintergrund gilt es als starkes Signal, dass EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker in dieser Woche zum Internationalen Wirtschaftsforum nach St. Petersburg fährt. Das Forum ist Russlands wichtigstes Wirtschaftsereignis, an dem heuer über 800 internationale Wirtschaftsvertreter teilnehmen. Von den Politikern hat auch Italiens Regierungschef, Matteo Renzi, zugesagt. Dies ist umso auffälliger, als die Europäer in den vergangenen beiden Jahren abwesend waren. Von der Pragmatik als Motiv sprach Kremlchef Wladimir Putin daher in einem TV-Interview: Niemand wolle verlieren, was in den Jahren davor erreicht worden sei, sagte er.

Tatsächlich ist in zwei Jahren viel verloren worden. Das Handelsvolumen zwischen der EU und Russland sei zwischen 2013 und 2015 um 120 Mrd. Euro, sprich 35 Prozent, eingebrochen, so die Daten des Ost-Ausschusses. In Russland selbst haben die Sanktionen die Wirtschaftskrise, die ohnehin aufgrund des Ölpreisverfalls vorhanden ist, nur verstärkt. Im Vorjahr brach das BIP um 3,7 Prozent ein. Für 2016 prognostiziert die Weltbank einen Rückgang um 1,2 Prozent. Die empfindlichste Wirkung der Sanktionen besteht im beschränkten Zugang russischer Unternehmer zum westlichen Kapitalmarkt. Umgekehrt bleiben Europas Bauern auf ihren Agrarprodukten sitzen, weil Moskau ein Importembargo verhängt hat.

Weiter Weg zur Normalität

Dass die Europäer wieder nach Petersburg fahren, sei für sich allein „schon ein hoffnungsvolles Faktum“, meint der Stahlmagnat und drittreichste Russe, Alischer Usmanow. Bis zu den Verhältnissen von früher, da die Chefs aller europäischen Konzerne Petersburg ihre Aufwartung machten, ist es freilich weit. Sieht man von den großen Ölkonzernen und von Siemens-Chef Joe Kaeser ab, sind die Europäer vorerst noch zurückhaltend bzw. schicken die zweite oder dritte Managerreihe. Russland demonstriert Unabhängigkeit und hat auffällig viele Teilnehmer aus Afrika, Indien und China auf die Dutzenden Diskussionspanels geladen. Als höchstrangiger deutschsprachiger Vertreter diskutiert übrigens OMV-Chef Rainer Seele. Und zwar mit niemand Geringerem als Russlands Außenminister, Sergej Lawrow, und Gazprom-Chef Alexej Miller: über das Verhältnis EU/Russland.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.06.2016)

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