Das ungelöste Hooligan-Problem

Frankreich verschärft Maßnahmen gegen Randalierer, fällt erste Urteile und prüft nun sogar Abschiebungen. Die Kritik an Polizei und höchst mangelhaften Ordnerkontrollen wird jedoch lauter.

Paris/Moskau. Frankreichs Regierung und Polizei reagieren auf die Straßenschlachten im Rahmen der Fußball-EM in Marseille und Nizza und kündigen ein verschärftes Vorgehen gegen Hooligans an. Die ersten Konsequenzen: 29 russische Fußballfans sollen des Landes verwiesen werden. Premier Manuel Valls betont die dringliche Notwendigkeit dieses Schrittes: „Manche Leute können nicht auf nationalem Territorium bleiben.“

Dass erst jetzt, mitten im Verlauf der EM und Tage nach den Vorfällen, laut François-Xavier Lauch von der Präfektur des Départements Alpes-Maritimes überprüft werden soll, ob Russen oder auch Engländer auf einer Liste gefährlicher Hooligans stehen und folglich eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstellen könnten, stimmt Beobachter höchst skeptisch. Es mutet, wie schon bei den Polizeieinsätzen an den Tagen der Krawalle, viel zu spät, regelrecht verhalten und zögerlich an. Vor allem die Kritik am Veranstalter und an „zu schwachen, nur einseitig bedachten Sicherheitskonzepten“ reißt nicht ab.

Dass Russland gestern, Dienstag, von der Disziplinarkommission der Fußballunion Uefa als Strafe für die Vorkommnisse (im Stade Vélodrome) 150.000 Euro Geldstrafe aufgebrummt wurden und im Wiederholungsfall der Ausschluss angedroht worden ist, wirkt vorerst nur als Tropfen auf dem heißen Stein. Bereits heute folgt in Lille die erste Nagelprobe: Es steht das Spiel Russland gegen die Slowakei auf dem Programm.

„Sicherheitsmaßnahmen inakzeptabel“

Greg Dyke, der Chef des englischen Fußballverbands FA, kritisierte die von Frankreich verantworteten Sicherheitsvorkehrungen in einem offenen Brief an die Uefa als „vollkommen inakzeptabel“. Ordner seien heillos überfordert gewesen, zudem gab es keineswegs die übliche, klare räumliche Trennung von Sektoren im Stadion.

Noch drastischer formulierte es Helmut Spahn – er war Sicherheitschef der Fußball-WM 2006 in Deutschland – in der „Bild“-Zeitung: „Es ist ein wenig erschreckend, dass die Franzosen die Standards der vergangenen fünfzehn Jahre im Umgang mit Problemfans nicht wahrgenommen – oder ignoriert haben.“ Er stellte klar, dass Behörden nicht informiert worden seien und auch die Zusammenarbeit des Veranstalters mit szenekundigen Beamten aus den EM-Teilnehmerländern „nicht gesucht“ worden war. Seine Prognose stimmt für den weiteren Verlauf dieser Sportveranstaltung pessimistisch, er sagt: „Ich glaube, dass sich die Probleme bei dieser EM kurzfristig nicht mehr lösen lassen.“

Ausreiseverbote als Lösung?

Zu viele Hooligans seien bereits im Land, auf viele Städte verteilt, und das Hauptaugenmerk sei auf Terrorbekämpfung gelegt worden. Frankreich habe viele Ratschläge, nicht nur seine, „dankend abgelehnt“.

Der ehemalige DFB-Präsident, Wolfgang Niersbach, hingegen lieferte einen Alternativvorschlag, der allerdings auch zu spät kommt. Er sprach sich offen gegen einen EM-Ausschluss betroffener Teams aus. „Wie sollen Verbände denn verhindern, dass Hooligans, die meist nicht einmal eine Karte für das Spiel haben, in der Stadt randalieren?“, fragte er und nahm die Regierungen und Behörden der jeweiligen Heimatländer in die Pflicht. „Der Weg kann nur sein, dass die Verbände ihre Regierungen auffordern, den großteils bekannten Hooligans vor den Spielen die Ausreise zu verbieten.“

Damit wären Grenzkontrollen oder gar Zäune unerlässlich und Europas Traum – just bei einer EM – ins Abseits gelaufen.

DIE ERSTEN URTEILE

Weitere Infos:www.diepresse.com/emDer Österreicher, 37, der im Zug der Randale in Marseille verhaftet worden ist, wurde wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt von einem Schnellgericht zu fünf Monaten Haft verurteilt. Er hat nun zehn Tage Zeit, dagegen zu berufen.

Auch sechs Briten und drei Franzosen wurden verurteilt. Ein Franzose, 29, erhielt die härteste Strafe: zwei Jahre Haft, die Hälfte auf Bewährung.

Die Uefa verurteilte Russland zu 150.000 Euro Geldstrafe, im Wiederholungsfall zum EM-Ausschluss.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.06.2016)

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