Behörden kannten den IS-Polizistenmörder

In der Nacht auf Dienstag erstrahlte der Eiffelturm zu Ehren der Terroropfer von Orlando in den Regenbogenfarben, zur gleichen Zeit schlug ein IS-Kämpfer in Paris zu.
In der Nacht auf Dienstag erstrahlte der Eiffelturm zu Ehren der Terroropfer von Orlando in den Regenbogenfarben, zur gleichen Zeit schlug ein IS-Kämpfer in Paris zu.(c) APA/AFP/LUDOVIC MARIN
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Ein 25jähriger vorbestrafter Jihadist erstach in Paris einen Polizisten, nahm dessen Frau als Geisel und tötete auch sie. Zurück bleibt ein Waisenkind.

Paris. Seit den Attentaten vom 13. November rechnet Frankreich mit neuen terroristischen Anschlägen. Besonders im Zusammenhang mit der Fußball-EM wurden aus diesem Grund maximale Vorsichtsmaßnahmen zum Schutz der Fans und der Bevölkerung getroffen. Aber auch die größte Wachsamkeit kann Mordanschläge individueller Terroristen nicht verhindern.

In der Nacht auf den Dienstag hat ein solcher Einzeltäter im Namen der Organisation Islamischer Staat (IS) ein Polizistenpaar umgebracht. Nur wenige Stunden nach dem Blutbad in Orlando hat dieses Attentat, das ebenfalls auf das Konto eines „einsamen Wolfs“ gehen soll, die französische Öffentlichkeit schockiert. Die Terrororganisation IS bezeichnete diesen mörderischen Überfall noch am Abend über ihr Propagandaorgan „A'maq“ als jihadistische Aktion eines IS-Kämpfers.

Zu drei Jahren Haft verurteilt

Es war 21 Uhr. Nach seinem Dienstschluss war ein 42-jähriger Polizeioffizier auf dem Weg nach Hause, wo ihn seine Partnerin und das dreijährige Kind erwarteten. Vor seinem Haus in Magnanville lauerte ihm ein Mörder auf. „Allahu akbar“ soll der Angreifer laut den entsetzten Nachbarn geschrien haben, als er sich mit einem Messer auf den überraschten Polizisten stürzte. Dieser starb wenig später an insgesamt neun schweren Verletzungen, die ihm der Täter zugefügt hatte. Damit aber war das Drama in Magnanville nicht zu Ende. Der Attentäter verschanzte sich im Wohnhaus mit der 36-jährigen Frau und ihrem Kind als Geiseln. Er hatte noch Zeit zu sagen, er handle im Namen von IS. Die Bluttat übertrug er angeblich auf seinem Facebook-Account.

Eine Eliteeinheit der Polizei stürmte das Haus und erschoss dabei den Attentäter. Bei dieser Erstürmung wurde die Leiche der Frau entdeckt, die als Sekretärin in einem Kommissariat im benachbarten Ort Mantes-la-Jolie ebenfalls für die Polizei tätig gewesen war. Der dreijährige Sohn, der nach diesem Anschlag Vollwaise ist, konnte unverletzt, aber in schwerem Schockzustand in Sicherheit gebracht werden.

Der Täter, der 25-jährige Larossi A., war fast ein Nachbar der beiden Opfer. Er wohnte in Les Mureaux im selben Departement, Les Yvelines im Westen von Paris, er verdiente dort angeblich seinen Lebensunterhalt mit der Lieferung von Sandwiches. Die Wohnung bei seinen Eltern ist von der Polizei auf der Suche nach eventuellen Komplizen und Kontakten durchsucht worden. Zwei Personen wurden am Dienstag zur Befragung festgenommen. Die Polizei wollte aber nicht präzisieren, ob die beiden nur als Zeugen oder als Verdächtige gelten.

Wie häufig in solchen Fällen sagen heute seine Bekannten von A., dieser habe stets gelächelt und sei geradezu die Höflichkeit in Person gewesen. Nichts habe sie vermuten lassen, dass er zu einer solchen Bluttat fähig sein könnte. Andere Jugendliche aus seinem Bezirk erklärten in den Medien, sie hätten ihn nie in der Moschee angetroffen. Ihnen sei nichts aufgefallen, was auf eine Radikalisierung hätte schließen lassen. Bei der Polizei war er indes keineswegs ein unbeschriebenes Blatt.

Er war 2011 wegen seiner aktiven Rolle bei der Rekrutierung von französischen Jihadisten und der Organisationen ihrer Reise nach Pakistan festgenommen und 2013 deswegen zu drei Jahren Haft verurteilt worden. Deswegen stand sein Namen auch auf der Liste S (für surveillance) der Verdächtigen, die als mögliche Komplizen terroristischer Gruppen überwacht wurden. Diese aufgrund der derzeit geltenden Notstandsgesetze noch erweiterten Kontrollen haben aber nicht verhindern können, dass dieser den Antiterrorbehörden einschlägig bekannte und vorbestrafte Mann einen insgeheim und wahrscheinlich individuell geplanten Anschlag verüben konnte.

Im Licht dieses tragischen Vorfalls müssen in Frankreich die Vorgangweisen und die Zuständigkeiten überprüft werden. Wie eine Terrorismusexpertin im Fernsehsender France-2 zu bedenken gab, gehe die Zahl solcher potenziell gefährlicher radikalisierter Islamisten in Frankreich „in die Tausende“.

Man weiß auch, dass der IS mehrfach in den vergangenen Jahren und Monaten seine Sympathisanten in Europa und namentlich in Frankreich angehalten hat, selbst mit einfachsten Mitteln wie einem Messer solche Anschläge zu verüben. Bereits zweimal wurden in Frankreich mutmaßliche Attentäter, die mit einem Messer auf einen Polizeiposten zustürmten, erschossen.

„Beträchtliches Terrorrisiko“

Im Nachhinein wird vor allem am Rand der Fußball-EM die Wachsamkeit noch erhöht, falls dies überhaupt möglich ist. Wie nervös wegen dieser Risken die Staatsführung ist, hat Präsident François Hollande bewiesen, der am Dienstagmorgen wegen der Ereignisse von Magnanville einen Krisenrat einberief und danach vor den Medien die Öffentlichkeit warnte: „Das Risiko terroristischer Aktionen ist reell und beträchtlich.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.06.2016)

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