Omar Mateen war ein zutiefst gespaltener Mann. Aussagen ehemaliger Schul- und Arbeitskollegen zeichnen das Bild eines Einzelgängers. Seine Ehefrau wusste von den Anschlagsplänen.
Washington. Als er 14 war, jubelte er über die Terrorangriffe vom 11. September 2001. Nur vier Jahre später begann er, Schwulendiscos zu besuchen – unter anderem Pulse, jenen Klub in Orlando, den er in der Nacht auf Sonntag zum Tatort der schwersten Massenschießerei in der Geschichte der USA machen sollte, dem Terroranschlag mit der größten Zahl von Todesopfern seit den besagten Anschlägen von 9/11. Mit fortschreitender Zeit verdichtet sich das Bild von Omar Mateen, dem 29-jährigen Massenmörder von bis dato zumindest 49 Menschen.
Am erstaunlichsten sind die Aussagen von Stammgästen des Pulse und anderen Homosexuellenlokalen in Florida. Sie beschwören, Mateen sowohl im Pulse oft gesehen zu haben, als auch vor zehn Jahren schon in anderen solchen Etablissements. Mehrere Männer gaben zudem zu Protokoll, dass sie schon vor einem Jahr über Internet-Apps, mittels derer Homosexuelle Partner suchen, mit Mateen geflirtet hatten.
„Du wärst genau mein Typ“, soll Mateen im Jahr 2006 zu ihm gesagt haben, erklärte einer seiner damaligen, offen homosexuellen Klassenkameraden am Indian River State College, wo beide sich auf die Aufnahmetests für den Polizeidienst vorbereiteten, gegenüber dem Fernsehsender ABC News. Mateen habe damals mit ihm und anderen Homosexuellen regelmäßig Schwulenlokale besucht.
Seine zweite Ehefrau Noor Mateem hat einem Bericht des US-Senders NBC zufolge von den Anschlagsplänen Kenntnis gehabt und versucht, ihn davon abzubringen. Das habe sie dem FBI gesagt, berichtete NBC ohne genauere Quellenangabe. Sie habe ihren Mann mindestens einmal ins "Pulse" gefahren, das er habe auskundschaften wollen. Noor Mateen, die einen drei Jahre alten Sohn mit dem Attentäter hat, müsse nun mit einer Anklage rechnen, berichte NBC unter Berufung auf Justizkreise.
Jugendliche Verehrung für Bin Laden
Mateens Hoffnung, Polizist zu werden, zerschlug sich daran, dass er bei der Aufnahmeprüfung zum Dienst als Gefängniswärter versagte. Nie hielt er eine Arbeitsstelle länger als ein Jahr durch, erst als Mitarbeiter der Bewachungsfirma G4S fand er eine dauerhafte Beschäftigung als Wachmann in einem Golfklub. Er lernte seine erste Frau über das Internet kennen und verprügelte sie regelmäßig, wenn er frustriert aus der Arbeit nach Hause kam. Sie selbst sollte nach seinem Willen das Heim nicht verlassen; nach wenigen Monaten floh sie, um ihr Leben fürchtend.
Verstörend sind die übereinstimmenden Aussagen ehemaliger Schulkollegen und Lehrer über Mateens Verhalten am 11. September 2001. Als die Lehrerin nach Bekanntwerden des Anschlags mit dem ersten Flugzeug den Fernseher im Klassenzimmer einschaltete, jubelte der damals 14-Jährige laut auf und erklärte, Osama bin Laden sei sein Onkel und habe ihm beigebracht, wie man mit Kalaschnikow-Sturmgewehren schieße. Das war natürlich Unfug, aber ein damals anwesender Schulkollege war im Gespräch mit der „Washington Post“ äußerst verwundert: „Damals hatten wir alle keine Ahnung, wer Osama bin Laden war. Aber er redete davon, mit der AK-47 zu schießen.“
Mateen spottete nach 9/11 weiterhin darüber, wie sehr die Amerikaner die Anschläge verdient hätten, und imitierte im Schulbus die Geräusche eines Flugzeugs, das in ein Gebäude einschlägt. „Nach 9/11 begann er, sich anders zu verhalten.“ Der frühere Schuldirektor Marty Bielicki äußerte sich noch deutlicher: „Hätte sein Arbeitgeber Zugriff auf sein jugendliches Sündenregister gehabt, wäre er der letzte Mensch gewesen, der eine Schusswaffe besitzen kann.“
Man kann dieses Verhalten als pubertären Blödsinn sehen. Wesentlich problematischer waren allerdings die Drohungen, die Mateen zwölf Jahre später als G4S-Wachmann gegenüber Arbeitskollegen aussprach. Seine Behauptung, er sei Mitglied der schiitischen Terrormiliz Hisbollah, seine Familie habe Kontakte zur sunnitischen al-Qaida, offenbarten zwar seine Ahnungslosigkeit über die tödliche Feindschaft zwischen diesen beiden Organisationen. Sie waren aber genug für eine vertiefte Prüfung durch das FBI.
In Moschee mit IS-Selbstmordattentäter
Terrorexperten der US-Bundespolizei vernahmen Mateen im Jahr 2013 mehrfach, sie konnten dabei keine Kontakte zu Terroristen feststellen. Doch zumindest einen kannte er, wenn auch nur flüchtig, vom Beten in einer Moschee: Moner Mohammad Abusalha, jenen jungen Mann aus Florida, der im Mai 2014 in Syrien zum ersten amerikanischen Selbstmordattentäter des Islamischen Staats wurde. Das FBI nahm sich Mateen daraufhin noch einmal vor – doch fand keine Hinweise, dass er eine terroristische Gefahr darstelle.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.06.2016)