Rückenwind für britische EU-Gegner

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Das Massenblatt "The Sun" unterstützt offen den Brexit. Jüngste Umfragen deuten auf eine Mehrheit für den Austritt hin. Das Lager der EU-Befürworter ist verunsichert.

London. Kein Tag ohne neue gute Nachrichten für die britischen EU-Gegner. Das Massenblatt „The Sun“ sprach sich gestern, Dienstag, schon auf Seite 1 („BeLEAVE in Britain“) für den Austritt des Landes aus der Europäischen Union aus: „Zu bleiben bedeutet machtlos gegenüber der Masseneinwanderung zu sein, die unsere Löhne nach unten drückt und katastrophalen Druck auf unsere Schulen, Krankenhäuser, Straßen und Wohnraum ausübt“, schreibt die „Sun“. Hingegen werde Großbritannien „außerhalb der EU reicher, sicherer und frei sein, sein eigenes Schicksal in die Hand zu nehmen“.

Mit einer täglichen Auflage von 1,7 Millionen Exemplaren ist die „Sun“ immer noch die mit Abstand meistverbreitete Tageszeitung des Landes. Das Blatt des australisch-amerikanischen Medienmoguls Rupert Murdoch ist traditionell EU-feindlich. Die „Sun“ rühmt sich aber eines besonderen Gespürs für die Wünsche ihrer Leser und liebt es, auf der Siegerseite zu stehen.

Viele Leser des Blattes sind Wähler der oppositionellen Labour Party. Auf sie konzentrieren sich zunehmend die rasch schwindenden Hoffnungen des Lagers der EU-Befürworter. Die Stimmung im Umfeld von Premierminister David Cameron habe sich zuletzt von „völliger Zuversicht“ zu „absoluter Panik“ gewendet, berichtet der „Guardian“ unter Berufung auf ein Regierungsmitglied.

Ein Grund dafür sind die neuesten Umfragen. Der „Guardian“ sah gestern das Brexit-Lager mit 53 zu 47 Prozent voran. Auch in zwei anderen Untersuchungen hatten die EU-Gegner die Nase vorn. „Dieses Rennen ist viel knapper, als es der Premierminister geplant hatte, und das Ergebnis ist mittlerweile wirklich fraglich“, sagte der Wahlforscher John Curtice von der University of Strathclyde.

Die Untersuchungen zeigen, dass eine knappe Mehrheit von 49 zu 47 Prozent der Wähler der Konservativen in der Volksabstimmung am 23. Juni für den Austritt stimmen werden. Unter den Labour-Anhängern liegen die EU-Befürworter dagegen mit 58 zu 38 Prozent klar voran. Sie werden damit über den Verbleib entscheiden. An sie appellierten zuletzt Ex-Premier Gordon Brown, der frühere Innenminister Alan Johnson und der gegenwärtige Labour-Chef, Jeremy Corbyn. Er warnte vor „Schaden für den Staatshaushalt“ und daraus folgend für den Sozialstaat bei einem Brexit.

Erste Auswirkungen spürbar

Schäden für die Wirtschaft verursacht mittlerweile bereits die wachsende Sorge um einen britischen EU-Austritt. Das Pfund verlor gestern den fünften Tag in Folge sowohl gegenüber dem Dollar als auch gegenüber dem Euro an Wert. Zugleich fiel die Londoner Börse auf den niedrigsten Stand in den vergangenen drei Monaten (siehe Seite 20). Das Brexit-Lager ließ sich davon jedoch nicht beeindrucken und erklärte, dass sich Großbritannien bei einem EU-Austritt 43 Milliarden Pfund an Steuerzahlungen ersparen würde, die man umgehend in Landwirtschaft, Forschung und Gesundheitswesen pumpen werde. Jene Gelder, die von der EU bisher in diese Bereiche fließen, wurden nicht erwähnt.

Wie sehr sich das Meinungsklima gegen die EU-Anhänger gedreht hat, zeigten auch die Reaktionen auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs über den Zugang von ausländischen Arbeitnehmern zu Sozialleistungen (siehe links). Statt für den Sieg Gratulationen zu ernten, fuhr die Regierung Kritik ein: „Das ist ein weiterer Beweis, dass der nicht gewählte Europäische Gerichtshof heute über unserem gewählten Parlament steht“, erklärte der frühere Sozialminister Iain Duncan Smith.

AUF EINEN BLICK

Am 23. Juni stimmen die Briten über die EU-Mitgliedschaft ab. Laut jüngsten Umfragen liegen die EU-Gegner knapp voran. Die Anhänger der Konservativen sind mehrheitlich für den Austritt, jene der oppositionellen Labour-Partei für einen Verbleib. Tory-Premier Cameron muss nun auf seine politischen Gegner setzen, um das Land in der EU zu halten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.06.2016)

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