Festfreude

Beim Fest findet die Gemeinschaft wieder zusammen. Wo feiern wir? Sind alle eingeladen? Kommen die wichtigsten Themen zur Sprache?

BIMAIL VON Dominik Markl SJRamadan in Jerusalem. Tausende drängen sich durch die engen Gassen der muslimischen Viertel. Für die großen Gebete der Festtage sind viele aus dem Umland in die heilige Stadt gekommen, auf Arabisch al-Quds genannt, „das Heiligtum“. Säcke voller Gewürze verbreiten orientalische Gerüche. Immer wieder treffen einander Bekannte. Freundliches Nicken, Handschlag und Bruderkuss. Für einige Tage erlebt das Volk seine Zusammengehörigkeit. Freudige Aufregung liegt in der Luft. Abends sitzt man bei gutem Essen und führt Gespräche über Beziehungen, Religion, Geschäfte, Politik. Die Alten erzählen, es tollen die Kinder.

Ganz ähnlich muss vor zweieinhalbtausend Jahren die Atmosphäre bei den großen Wallfahrtsfesten des Alten Israel gewesen sein. Dreimal im Jahr kam man aus allen Teilen des Landes hinauf zum Tempel, zu jenem geheimnisvollen Ort, den Gott erwählt hatte, „um seinen Namen dort wohnen zu lassen“ (Deuteronomium 12,5). Bei Pessach, Wochenfest und Laubhüttenfest erinnerte sich das ganze Volk an die Geschichte seiner Befreiung aus Ägypten, feierte die Ernte, brachte Opfer, empfing Segen. Wie viele Paare haben sich bei der Wallfahrt gefunden? Wie viele Verträge wurden geschlossen, wie viel Streit focht man aus? Die Begeisterung über dieses festliche Treiben bezeugt uns der Beter von Psalm 42: „Das Herz geht mir über, wenn ich daran denke: wie ich zum Haus Gottes zog in festlicher Schar, mit Jubel und Dank in wogender Menge.“ Die Feste dienten nicht nur dem religiösen Glauben, sie erfüllten auch eine soziale Funktion: „Du sollst dich an deinem Fest freuen, du und dein Sohn und deine Tochter und dein Sklave und deine Sklavin und der Levit und der Fremde und die Waise und die Witwe“ (Deuteronomium 16). In der gemeinsamen Freude des Feierns verbanden sich alle sozialen Gruppen wieder zu einer geschwisterlichen Gemeinschaft.

Aufgrund solcher Festerfahrung symbolisierte der Jerusalemer Tempel Israels religiöse und soziale Identität. Seine Zerstörung durch die Babylonier 587 v. Chr. war für das Volk die größte Katastrophe der Geschichte, sein Wiederaufbau unter den Persern ein gefeierter Triumph. Die Nachfolger Alexanders des Großen zwangen den Juden die Sitten griechischer Kultur auf und verhinderten die Ausübung der Religion. Dagegen übten die Makkabäer den gewaltsamen Aufstand; 164 v. Chr. erreichten sie die Wiedereinweihung des Tempels. An diesen Triumph erinnert das Lichterfest „Chanukka“.

Jesus liebte wie alle Juden den Tempel. Er diskutierte dort brennende Fragen der Zeit. Haben wir heute noch Orte, wo Firmenchefs und Arbeitslose, Professoren und Obdachlose, Diplomaten und Kinder zusammenkommen, die Freude der Zusammengehörigkeit erfahren und über Fragen des Lebens sprechen?

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.08.2009)

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