Von Kamelen, Huren und versenkten Milliarden

Goldman Sachs sign is seen above floor of the New York Stock Exchange shortly after the opening bell in New York
Goldman Sachs sign is seen above floor of the New York Stock Exchange shortly after the opening bell in New YorkREUTERS
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In London startet ein viel beachteter Prozess: Goldman Sachs soll den libyschen Staatsfonds schlimm über den Tisch gezogen haben.

Wien. Die beiden jungen Herren hatten ihren Spaß. Sie verbrachten Urlaubstage in Marokko, flogen in der Business Class weiter nach Dubai und stiegen im Ritz-Carlton ab – alles auf Firmenkosten. Dort sorgte der Goldman-Sachs-Manager für „unsittliche Unterhaltung“, wie es in der Anklageschrift heißt. Wieder zurück, meldete der Verkäufer einen „großen Erfolg“: Er habe „enge Beziehungen“ mit Haitem Zarti und dessen Familie geknüpft. „Sein Bruder ist entzückt.“

Um die gute Laune dieses älteren Bruders ging es auch: um Mustafa Zarti, der sich nach der Revolution in seine Wahlheimat Österreich absetzte. Damals, im Februar 2008, war er noch Vizechef des libyschen Staatsfonds. Und die US-Investmentbank zog mit dem neuen Kunden gerade ein großes Geschäft durch: 1,3 Mrd. Dollar, investiert in hochkomplexe, hochriskante Derivate-Deals. Eine Wette auf Währungen, acht auf den Kurs von Einzelaktien. Dann kam Lehman, die Kurse rasselten in den Keller, und die Libyer verloren 98 Prozent ihres Einsatzes. Der Bank aber blieb, durch üppige Spesen und Gegenpositionen, ein Gewinn von 368 Mio. Dollar.

Später klagte der Fonds. Diese Woche hat vor dem High Court in London der Prozess begonnen, den die Finanzwelt gespannt verfolgt. Es geht um mehr als Geld. Angesichts der peinlichen Details, die der Ankläger auftischt, steht auch die Reputation von Goldman Sachs auf dem Spiel. Aus Sicht des Fonds nutzte die Bank die finanzielle Ahnungslosigkeit der Libyer aus, indem sie erst ein spezielles Vertrauensverhältnis aufbaute und dann zu riskanten Geschäften drängte.

Diktator Gaddafi hatte 2006 das Vermögen aus den Öleinnahmen des Landes in einem Fonds gebündelt. Nach dem Ende der Sanktionen sollte Libyen auf den Finanzmärkten Fuß fassen. Nur eines fehlte: fähiges Personal, um 67 Mrd. Dollar umsichtig zu investieren. Ein gefundenes Fressen für große Investmentbanken, die sogleich ihre Dienste anboten. An vorderster Front: Goldman Sachs.

Der Fonds beteuert: Die Deals seien für seine Leute „völliges Neuland“ gewesen. Sie hätten nicht einmal verstanden, dass sie in Derivate und nicht einfach in Aktien investierten, und dass die Gebühren der Bank verhandelbar waren. Die Banker hätten sie über den Tisch gezogen – was interne Korrespondenz belegen soll. „Sie sind sehr naiv, jeder könnte sie ausplündern“, heißt es in einem Mail. In einem anderen gratuliert ein Kollege zum „Verkaufsgespräch über strukturierte Hebelprodukte mit jemandem, der mitten in der Wüste mit seinen Kamelen lebt“.

Für Goldman war es nur Pech

Für die Verteidiger ist die Klage der typische Versuch eines Kunden, der Pech hatte, sich an seiner Bank schadlos zu halten. Sie wollen zeigen, dass die Libyer sich sehr wohl auskannten – nicht zuletzt durch Schulungen bei Goldman. Und die Kontaktpflege? Von den Prostituierten habe man nichts gewusst. Alles andere sei „nicht unüblich“.

Letzteres bestätigt eine Zeugin der Anklage: Die Londoner Anwältin arbeitete 2008 beim Staatsfonds und war schockiert über „verschwenderische Reisen“, zu denen Goldman die Mitarbeiter einlud – „saufen und Mädchen inklusive“.

Solche Enthüllungen hätte die Bank gern vermieden. Nach dem Platzen des Deals versuchte sie, die Scherben aufzukehren. Bei ihrem Canossagang nach Tripolis, schreibt das „Wall Street Journal“, habe Zarti zwei Goldman-Manager „wie ein rasender Stier“ verflucht und so bedroht, dass sie Leibwächter engagierten. Das Institut machte Angebote, um die Verluste mit der Zeit zu kompensieren, vor allem durch Goldman-Vorzugsaktien. Aber die Libyer hielten es nicht für ratsam, in der Finanzkrise in eine US-Bank zu investieren.

Und dann wollte auch Goldman nicht mehr – die Börsenaufsicht hätte ein Engagement des wieder zunehmend suspekten und bedrohten Gaddafi-Regimes nicht gern gesehen. Der Kläger wird nun in London von der Beraterfirma BDO vertreten. Denn im zerrissenen Libyen streiten sich auch beim Staatsfonds zwei rivalisierende Chefs um die Kontrolle. (gau)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.06.2016)

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