Sozialgeld, auch wenn Anspruch fehlt

VERHANDLUNGEN �BER MINDESTSICHERUNG IM SOZIALMINISTERIUM IN WIEN: ENTHOLZER / WEHSELY / SCHWARZ / ST�GER
VERHANDLUNGEN �BER MINDESTSICHERUNG IM SOZIALMINISTERIUM IN WIEN: ENTHOLZER / WEHSELY / SCHWARZ / ST�GER(c) APA/HELMUT FOHRINGER
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2015 erhielten in Oberösterreich 800 Menschen in Notfällen nach Ermessen Sozialgeld. Wegen des Konflikts um die Obergrenze droht die bundesweite Reform zu platzen.

Linz/Wien. In Oberösterreich und bis hinein in die rot-schwarze Bundesregierung spitzt sich die Auseinandersetzung um die soziale Mindestsicherung zu. Der Grund ist nicht nur, dass ÖVP und FPÖ heute, Donnerstag, im oberösterreichischen Landtag trotz Protesten von SPÖ und Grünen die seit Jänner heftig debattierte Kürzung der Mindestsicherung für Asylberechtigte und subsidiär Schutzberechtigte von 914 auf 520 Euro im Monat mit Abfederungen voraussichtlich in geheimer Abstimmung beschließen wollen.

Zugleich eskaliert der Konflikt in der Bundesregierung wegen der ÖVP-Pläne für eine Deckelung der Mindestsicherung für Familien mit 1500 Euro im Monat. Dies lehnt die SPÖ von Parteichef Christian Kern abwärts vehement ab.

Hochburg Grieskirchen

Während die Sparpläne bei Flüchtlingen die Wogen seit Monaten hochgehen lassen, ist eine andere Möglichkeit, die in Oberösterreich besteht, kaum bekannt. Dort können, wie der „Presse“ bestätigt wurde, auch Personen das Sozialgeld erhalten, die nach den gesetzlichen Bestimmungen keinen Anspruch auf eine Mindestsicherung haben.

Die Auszahlung erfolgt aber nicht nach einer Entscheidung des Landes oder des zuständigen Landesrats, Reinhold Entholzer (SPÖ), sondern nach Ermessen über die Sozialverbände und Statutarstädte im Land. Voraussetzung sei eine absolute Notsituation, oft handle es sich dabei auch um Einmalzahlungen, etwa, wenn jemand dringend eine Waschmaschine braucht.

Wie Oberösterreichs FPÖ im Zuge einer Anfrage herausgefunden hat, wurde auf diese Weise im Vorjahr an 824 Personen, die keinen Anspruch haben, eine Mindestsicherung ausgezahlt. Wie groß der Spielraum dabei ist, zeigt der Umstand, dass nur rund ein Prozent der 824 Bezieher in Linz beheimatet waren. Auf den Bezirk Grieskirchen, dem Heimatbezirk Entholzers, entfiel hingegen fast ein Viertel mit 23,5 Prozent.

Im Büro Entholzers wurde der „Presse“ jedoch versichert, diese Zuerkennungen seien keine Entscheidungen des Landesrats oder des Landes. Die Zuweisungen erfolgten nach Einzelfallprüfungen. Warum es in Linz im Vergleich nur wenige Fälle einer Mindestsicherung ohne Rechtsanspruch gibt? Weil dort häufiger die Möglichkeit alternativer Beschäftigung bestehe, so die Erklärung im Sozialressort des Landes.

FPÖ: Einheitlicher Vollzug

Für die Landes-FPÖ ist die Konsequenz klar: Es müsse eine Vorgabe für einen möglichst einheitlichen Vollzug der Auszahlung der Mindestsicherung geben. Die aus dem vergangenen Jahr vorliegenden Zahlen würden zwischen einzelnen Bezirken einen „nicht erklärbaren unterschiedlichen Maßstab“ bei der Vergabe an Personen, die keinen Anspruch haben, ergeben.

Im Sozialministerium heißt es, die Handhabung obliege den einzelnen Bundesländern. Minister Alois Stöger (SPÖ) drängt aber darauf, rascher von allen Ländern Informationen zu erhalten. Allerdings hängt die von Stöger angestrebte Neuregelung und ein einheitlicher Vollzug sowie Kontrollen der Mindestsicherung völlig in der Luft. Hauptgrund dafür sind die rot-schwarzen Differenzen in der Bundesregierung um die von der ÖVP verlangte Obergrenze von 1500 Euro im Monat. Damit ist ein neuer Pakt zwischen Bund und Ländern über die Mindestsicherung ab 2017 offen. Morgen, Freitag, werden die Bund-Länder-Verhandlungen in Wien fortgesetzt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.06.2016)

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