Das St. Petersburger S-Wort und die verzweifelte Lage in der Ostukraine

Russian President Putin meets European Commission President Juncker in St. Petersburg
Russian President Putin meets European Commission President Juncker in St. Petersburg(c) REUTERS (GRIGORY DUKOR)
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Russland scheint noch immer auf einen Deal in der Sanktionenfrage zu hoffen. Stattdessen sollte Moskau seinen Einfluss in der Ostukraine geltend machen.

Das Wirtschaftsforum von St. Petersburg ist eine Inszenierung. Es soll ein problemfreier Raum sein, in dem unschöne Worte wie Annexion, verletzte Souveränität oder Militärintervention nicht fallen sollen. Im Gegenteil, auf Wladimir Putins Forum versucht man, die Atmosphäre von Business as usual zu versprühen und den anwesenden Europäern zu suggerieren: „Alles könnte wieder gut sein, wenn ihr nur wollt.“

Dass Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sich bei der Eröffnung nicht diesem Sprachgebrauch unterwarf und den Völkerrechtsbruch Russlands im Fall der Krim beim Namen nannte und Russlands verdeckte Militärintervention in der Ostukraine nicht unerwähnt ließ, sollte für einen EU-Vertreter eigentlich nichts Besonderes sein. Ist es aber, wie man von Politikern dieses Landes nur allzu gut weiß. Umgeben von der russischen Elite und internationalen Investoren waren Junckers Worte daher ein wichtiges Statement. Es geht nicht darum, Fantasien zu nähren, sondern Realismus.

So bitter es für russische und europäische Geschäftsleute, Branchenvertreter und letztlich auch für die Steuerzahler ist: Das Kernproblem beim Thema Sanktionen sind nicht die Einbußen der russischen und der europäischen Wirtschaft. Das Kernproblem ist der ungelöste Konflikt in der Ostukraine, dem mittlerweile mehr als 9400 Menschen zum Opfer gefallen sind. Wie viele wären es, gäbe es die EU-Sanktionen und das Minsk-Abkommen nicht? Eine Frage, die niemand beantworten kann. Sicher ist, es wären mehr. Doch nach wie vor sterben Menschen, weil die Konfliktlösung in Teilen versagt. Daran zu erinnern mag unangenehm sein. Doch wie zynisch ist es, die Toten und die vom Tod bedrohten Lebenden zu ignorieren?

Die Lage in der Ostukraine, in der weiterhin täglich Schusswechsel und Artillerieduelle zwischen ukrainischer Armee und von Russland unterstützten Separatisten stattfinden, gibt wenig Anlass zu Hoffnung. Immer öfter finden die Mahnungen der internationalen Beobachter kein Gehör, sogar Forderungen hochrangiger politischer Vertreter wie des deutschen Außenministers, Frank-Walter Steinmeier, verhallen. Beide Seiten unternehmen immer weniger Anstrengung für eine politische Konfliktlösung.

Die Separatisten waren stets bemüht, den Minsk-Prozess durch immer neue Forderungen zu torpedieren. Seit einiger Zeit mehren sich auch in der Ukraine Stimmen, die das Abkommen (das unbeliebt ist, kam es doch in einer militärischen Notsituation zustande) offen infrage stellen. Kiew hinkt bei der Umsetzung der geforderten Schritte hinterher – auch, weil es keine Sicherheitsgarantien von der anderen Seite hat.

Im Donbass müssten Taten von russischer Seite folgen, damit über ein Zurückschrauben der EU-Sanktionen nachgedacht werden kann. Dass Moskau auch anders kann, wenn es nur will, hat es ansatzweise an manchen Punkten im Verhandlungsprozess bewiesen: Der Gefangenenaustausch mit der Ukraine, für Kiew ungleich wichtiger, ist ein positives Zeichen. Im vergangenen Herbst hielt eine Waffenruhe über mehrere Wochen. Auch ist die Unterstützung für die Separatisten nicht grenzenlos. In den russischen regimenahen Medien, die als Sprachrohr des Kreml fungieren, ist die undurchsichtige und fruchtlose Operation schon längst vom ungleich herzeigbareren Einsatz moderner Waffen in Syrien abgelöst worden. Doch leider scheint Moskau noch immer damit zu spekulieren, den Konflikt mit Europa durch Gaspolitik, Aussitzen oder Schwächung seines Gegenübers lösen zu können.


In Petersburg bekam Juncker eine bauernschlaue Frage gestellt: Hätten die Sanktionen denn bisher einen Effekt auf die russische Politik gehabt? Habe sich dadurch das Minsker Abkommen erfüllt? Juncker antwortete, genau diese Frage werde er persönlich mit Präsident Putin besprechen. Dieser ist tatsächlich der richtige Adressat. Wenn der Kreml endlich einsieht, dass es keinen krummen Deal in der Sanktionenfrage gibt, wird es Frieden in der Ukraine geben.

E-Mails an: jutta.sommerbauer@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.06.2016)

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