Im Baskenland fahren auch die Busse autonom

Die spanischen Baskenprovinzenals Technologieregion? Nach den Krisen der 1980er-Jahre setzte man stark auf Forschung und Entwicklung. Und präsentiert sich heute selbstbewusst als innovativste Region Spaniens.

Der Kleinbus rollt mit zwölf Stundenkilometern die Gerade entlang. Wo sonst der Fahrer sitzt, ist ein Sensor montiert, die Navigation funktioniert über GPS. Niemand steuert, das Fahrzeug lenkt autonom und visiert schließlich eine Verkehrsinsel an, um darauf zu parken. Doch zwei Räder bleiben auf der Straße, es gerät in Schieflage, und der Begleiter muss eingreifen. „Das ist uns noch nie passiert“, sagt er auf Englisch mit starkem spanischem Akzent. Und die zehn österreichischen Fahrgäste aus unterschiedlichen Bereichen der angewandten Forschung schmunzeln. „Das sagen wir auch immer“, scherzt einer.

(c) Die Presse

Dass eine neue Entwicklung nicht immer gleich funktioniert, überrascht nicht. Forschung bedeutet, Neues auszuprobieren, und dazu gehört auch, dass etwas nicht so klappt, wie gedacht – und damit Raum für Verbesserungen aufzeigt. Was vielleicht mehr erstaunt, ist der Ort, an dem der Prototyp des autonomen Busses seine Testfahrten unternimmt: der Technologiepark Gipuzkoa bei San Sebastián. Der spanische Teil des Baskenlandes nahe der französischen Grenze ist vielen Österreichern bislang wohl eher als Tourismusdestination und weniger als europäische Innovationsregion bekannt.

 

In Innovationen investiert

Die finanziell autonome Region, die ihre Steuern nicht an Spanien abliefert, sondern selbst verwaltet, setzt allerdings seit Mitte der 1980er-Jahre stark auf Forschung und Entwicklung (F&E). Insgesamt drei Technologieparks an sechs Standorten sind entstanden, rund 430 Hightech- und Forschungsunternehmen haben sich dort angesiedelt. Das Forschungszentrum Tecnalia und der Forschungsverbund IK4 betreiben in enger Kooperation mit Unternehmen angewandte Forschung. Die Grundlagenforschung ist in acht Exzellenzzentren gebündelt, die als internationale Knotenpunkte des Wissens agieren sollen. Außerdem gibt es eine staatliche und vier private Universitäten. Fast 30.000 Menschen arbeiten heute im Baskenland im Bereich F&E. Die Arbeitslosigkeit liegt mit etwa zwölf Prozent deutlich unter dem spanischen Durchschnitt von 22 Prozent.

„Das Baskenland gilt heute als die innovativste Region Spaniens“, sagt der österreichische Wirtschaftsdelegierte Michael Spalek. Er führte die Teilnehmer einer Studienreise des Forschungsnetzwerks Austrian Cooperative Research (ACR), dem österreichischen Netzwerk von Forschungsinstituten für Unternehmen, zwei Tage lang durch das Land.

 

Das Wasser stand bis zum Hals

Dazu musste den Basken das Wasser aber erst buchstäblich bis zum Hals stehen. Zur Krise der Schwerindustrie und Terroranschlägen der Separatistenorganisation ETA kamen nämlich fatale Hochwasser: Im August 1983 tobte fünf Tage lang ein Unwetter. Die teilweise stark verschmutzten Flüsse traten über die Ufer, Straßendecken wurden aufgerissen, Brücken und Häuser stürzten ein. Menschen und Tiere starben in den Fluten. Die Katastrophe prägte die Region. „Jeder wusste, dass sich etwas ändern muss, alle Bereiche der Gesellschaft waren offen für Veränderungen“, so Spalek.

Innovationen sollten den Weg aus der Krise weisen. Dazu gehörten nicht nur Investitionen in die Stadtentwicklung – das Guggenheimmuseum ist das prominenteste Beispiel dafür; Hochtechnologie sollte die Wirtschaft ankurbeln. Und hier steckte man sich Spitzenleistung als erklärtes Ziel. „Wir sind ein kleines Land, aber wir wollen groß sein in dem, was wir tun“, sagt Alexander Arriola, Generaldirektor der Agentur der baskischen Regierung zur Förderung von Wettbewerbsfähigkeit und Wirtschaftsentwicklung. Im Mittelfeld stecken zu bleiben, sei jedenfalls keine Option.

 

„Die Spitze ist der halbe Weg“

Dieses Motto trägt man auch hinaus in die Region: „The top is half of he way“ – „Die Spitze ist der halbe Weg“ steht etwa in großen Lettern an der Wand des riesigen Industrielabors von Tecnalia in San Sebastián, wo die autonomen Minibusse entwickelt werden. Die baskischen Forscher sind Partner im von der Europäischen Union geförderten Projekt CityMobil2, in dem Wissenschaftler an Prototypen für ein automatisiertes Straßentransportsystem arbeiten.

Spanien ist heute – nach Deutschland und vor Frankreich – der zweitgrößte Autohersteller Europas. Um die Kräfte vor Ort zu bündeln, gründete man im Baskenland bereits 1995 das Automotive Intelligence Center, den ersten Automobilcluster der Welt. Rund 30 Unternehmen haben dort ihre Forschungsabteilungen ausgelagert. In die Automobilindustrie fließen auch die meisten Forschungsmittel; weitere Schwerpunkte sind Aeronautik und Energie oder neue Fertigungstechnologien (Industrie 4.0). Aber auch die Sprache wird erforscht: Baskisch gilt als die älteste lebende Sprache Europas.

 

Wie Wünsche wahr werden

Ehrgeizig soll es auch künftig weitergehen. Klappt alles, sollen die autonomen Minibusse schon demnächst im Stadtgebiet von San Sebastián fahren dürfen. Derzeit laufen noch Gespräche für die Genehmigung. Doch wie steht es – ebenfalls an der Laborwand bei Tecnalia – geschrieben? „Eine Person kann alles, was sie sich vorstellen kann, Wirklichkeit werden lassen.“ Das treibt die Basken offenbar an.

IN ZAHLEN

2 Prozent des BIP investiert die öffentliche Hand im Baskenland derzeit in Forschung und Entwicklung. Das ist etwa ein Prozent weniger als in Österreich, aber deutlich mehr als im Rest Spaniens (1,24 Prozent.)

30.000Menschen arbeiten im baskischen Innovationsnetzwerk, bestehend aus einer öffentlichen und vier privaten Unis sowie Forschungseinrichtungen. Dazu kommen drei Technologieparks (Álava, Biskaia, Gipuzkoa) an sechs Standorten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.06.2016)


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