Die Stunden des Präsidenten

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Ab heute berät der Verfassungsgerichtshof unter Gerhart Holzinger über die Anfechtung der Stichwahl um das Präsidentenamt durch die FPÖ.

Der Zeitplan für die öffentliche Verhandlung des Verfassungsgerichtshofs zum Thema Präsidentschaftswahl trägt klar die Handschrift eines Mannes: Gerhart Holzinger, 69-jähriger Präsident des Verfassungsgerichtshofs. Die Disziplin, die der Wissenschaftler und Praktiker des Rechts sich selbst abverlangt, fordert er auch bei den 13 übrigen Mitgliedern des Höchstgerichts und bei allen am Verfahren Beteiligten ein.

Eile tut not. Ab heute, 8.30 Uhr sollen nach strikt durchgeplantem Programm die Grundlagen für eine Entscheidung geschaffen werden, die spätestens am 6. Juli, zwei Tage vor Ablauf der Amtszeit von Bundespräsident Fischer, bekannt gegeben werden soll. 90 Zeugen sind geladen, zu vierzehnt werden die Höchstrichter sie einvernehmen und sich ein Bild machen, ob die Stichwahl am 22. Mai und insbesondere die Auszählung der Briefwahlstimmen am Tag danach korrekt verlaufen sind. Was die FPÖ bestreitet.


Entscheiden tun andere. So weit es in seiner Macht steht – und nicht etwa von der Bereitschaft der Zeugen abhängt zu kommen und auszusagen –, überlässt Holzinger nichts dem Zufall. Den Gerichtshof und seine Arbeit zu organisieren ist neben der Vertretung nach außen die wohl wichtigste Aufgabe des Präsidenten. Dazu gehört auch, den Vorsitz im beispiellosen Ermittlungsverfahren zu führen. Entscheiden tun aber andere: Vizepräsidentin Brigitte Bierlein und die vier weiteren Richterinnen und acht Richter. Holzinger hat nur bei Stimmengleichheit unter den anderen ein Stimmrecht – was praktisch nur dann möglich ist, wenn ein Mitglied überraschend ausfällt.

Dabei würde Holzinger keine Entscheidung scheuen. Im Gegenteil: Der 1947 in Gmunden geborene Jurist machte vor seiner Ernennung zum Höchstrichter 1995 im Verfassungsdienst des Bundeskanzleramts Karriere, weil er mit klaren, raschen und fachlich fundierten Entscheidungen auffiel. Wiewohl CV-Mitglied, wurde er 1984 vom damaligen sozialdemokratischen Staatssekretär Franz Löschnak zum Chef des Verfassungsdiensts gemacht. Auch heute wird Holzinger intern am Höchstgericht eher dem roten als dem schwarzen Lager zugeordnet, während er nach außen strikt auf Äquidistanz bedacht ist.

Obwohl Sozialdemokraten und Volkspartei längst nicht mehr die Großparteien von früher sind, haben sie es geschafft, ihr Monopol für die Besetzung des Verfassungsgerichtshofs über die Zeit zu retten. Das einzige blaue Einsprengsel aus der ÖVP-FPÖ-Koalition ab dem Jahr 2000, der 2003 auf Vorschlag der Freiheitlichen ernannte Herbert Haller, ist 2010 mit 70 Jahren in Pension gegangen. Seither halten sich die Mitglieder auf den roten und schwarzen Tickets die Waage; weil der Präsident jedoch mangels Stimme eher Schiedsrichter als Richter ist, herrscht ein schwarzes Übergewicht.

Daraus lässt sich allerdings keineswegs ableiten, wie der Gerichtshof entscheidet. Die Mitglieder werden unbefristet bestellt, brauchen sich also nicht mit Blick auf eine weitere Amtszeit einem Gönner verpflichtet zu fühlen. Auch der Umstand, dass die Ergebnisse von Abstimmungen nicht publik werden, trägt zur Abnabelung der Richter bei. All das hat zum Beispiel möglich gemacht, dass der Gerichtshof 1990 trotz damals mehrheitlich roter Zusammensetzung die Aufhebung des ungleichen Pensionsalters von Frau und Mann beschlossen hat (dieses wurde dann verfassungsrechtlich abgesichert).


Referenten und Koryphäen. Der Präsident kann, wenn überhaupt, die Rechtsprechung nur indirekt beeinflussen. Auf zwei Wegen: Einerseits weist er die Fälle einzelnen Mitgliedern als Referenten zu, die dann die Entscheidung vorbereiten. Dafür gelten zwar im Vorhinein festgelegte Zuständigkeitsbereiche – für das Wahlrecht und damit die Stichwahl ist beispielsweise Helmut Hörtenhuber (schwarzes Ticket) zuständig. Es könnte aber Rechtssachen geben, die sich wahlweise dem einen oder dem anderen Rechtsgebiet zuordnen lassen. Freilich ist kein Referent davor gefeit, dass die anderen Koryphäen in der Beratung seinen Entwurf zerpflücken und anders entscheiden wollen.

Die zweite Möglichkeit, stimmlos Einfluss zu nehmen, liegt in der Sitzungsführung. Holzingers Vorgänger, der machtbewusste und weniger penible Karl Korinek (schwarzes Ticket), soll es zuweilen vermocht haben, durch seine Art der Leitung der Beratung deren Ausgang dezent in eine Richtung zu lenken. Von Holzinger ist so etwas nicht überliefert. Die anstehende Entscheidung über die Stichwahl lässt auch für rechtspolitische Er- oder grundrechtliche Abwägungen kaum einen Raum.

Fußballfan Holzinger, ein Rapidler, wird derweil die laufende Euro eher nur am Rand mitverfolgen können. Die nächste große aktive sportliche Betätigung des einstigen Ironman (3,8 km Schwimmen, 180 km Radfahren, 42 km Laufen) wird wohl ein herbstlicher Marathon in Wien sein.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.06.2016)

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