Die schönste Maske des Beppe Grillo

Virginia Raggi
Virginia Raggi(c) APA/AFP/ANDREAS SOLARO
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Mit Virginia Raggi steht Italiens Polit-Berserker, Gründer der Fünf-Sterne-Bewegung, davor, die Stadt Rom zu erobern - als Sprungbrett zur Macht im ganzen Land.

Sie ist klein, dünn und zierlich. Sie ist 37 Jahre jung, und als sie vor zwei Wochen, nach dem Sieg in der ersten Runde, mitten in der Nacht vor die Kameras trat, da rang sie vor Seligkeit nach Luft, da glühten ihre Backen – wie bei einem Schulmädchen, das der besten Freundin vom allerersten Kuss ihres Lebens erzählt.

Diese Virginia Raggi will nun ein Monster bändigen. Sie will Bürgermeisterin von Rom werden als erste Frau in 2769 Jahren Stadtgeschichte – und wenn nicht alles täuscht, wird sie dies bei der heutigen Stichwahl auch schaffen. Flügel verleiht ihr die Wut der Römer, der Zorn über eine bankrotte, immer weiter herunterkommende Stadt, der Wunsch nach Wandel.


Nationale Generalprobe. Hinzu kommt eine nationale Dimension. Die Kommunalwahlen in Rom und anderen Großstädten Italiens gelten als Generalprobe für den Sturz von Regierungschef Matteo Renzi. Und wie sich gegen den „Unsympathischen“ alle verschworen haben, von den Gegnern in der eigenen Partei angefangen, so sammeln sich hinter Virginia Raggi unterschiedslos alle, die Renzi nach Hause schicken wollen: Rechte ebenso wie Linke. Eine solche Koalition hat es in Italien noch nie gegeben.

Da ist es egal, wer diese Virginia Raggi eigentlich ist. Da ist es egal, dass die Anwältin – von drei unauffälligen Jahren im Gemeinderat abgesehen – keine politische Erfahrung besitzt; geschweige denn irgendeine Übung im Umgang mit dem Moloch einer verfilzten, korrupten Bürokratie; dass sie bis zur Kandidatur im Februar so gut wie unbekannt war. Raggi dient einem anderen Zweck, hinter ihr drehen sich größere Räder. Oder sie ist – wie es neulich im rechtsintellektuellen Blatt „Il Foglio“ stand – nur eine der Masken, die der gewiefte Schauspieler Beppe Grillo aufsetzt, die freundliche in diesem Fall, um sein Publikum zu gewinnen. Der 67-jährige Polit-Berserker hat es auf einen radikalen Systemsturz abgesehen. Konzepte für danach hat er nicht.

So ist denn auch Raggis Programm einigermaßen diffus geblieben. Klar, der Müll muss von den Straßen. Aber wie? Klar, die vielen Tausend Schlaglöcher in den Straßen müssen weg, die jährlich so und so viele Motorradfahrer das Leben kosten; klar, die Verschwendung von Steuergeldern – 1,2 Milliarden Euro pro Jahr laut Raggi – muss ein Ende haben. Das Riesendefizit in den städtischen Betrieben, verursacht „von den bisher regierenden Parteien“, soll von „den Politikern“ bezahlt werden. Und die Schulden der Stadt, diese 13 Milliarden Euro? „Renzis Finanzministerium ist schuld, dass wir so hohe Zinsen zahlen.“

Eine Seilbahn über den Tiber wollte Raggi ziehen, um der Verkehrsprobleme Herr zu werden, und an die Seite – oder gar an die Stelle – des von Grillo radikal abgelehnten Euro sollte eine inner-römische Tauschwährung treten. Wie wenig ausgereift die Ideen überhaupt sind, zeigte sich vor allem beim Thema Olympische Spiele, um deren Austragung im Jahr 2024 sich Rom beworben hat. Die Stadt könne sich die Spiele nicht leisten, sagte Raggi zunächst: „Die Stadt stirbt an Verkehr und Schlaglöchern, da ist es kriminell, von Olympia zu reden.“ Später korrigierte sie sich: „Kriminell ist es, sich nicht um die wirklichen Probleme der Bürger zu kümmern. Olympia meinte ich gar nicht.“ Und, bisher letzte Version: Raggi will das Volk über ein Ja oder ein Nein zu den Spielen entscheiden lassen.

Im Februar haben die Online-Anhänger der Fünf-Sterne-Bewegung – in Rom sind dies 9500 – für Raggis Kandidatur votiert. Wenig mehr als ein Drittel beteiligte sich an dem Votum, weniger als die Hälfte der Stimmen entfiel auf Raggi. So jedenfalls teilte es die Zentrale der Bewegung mit, die in Mailand in der Computerfirma Casaleggio sitzt.

Okkulte Macht in Mailand. Gianroberto Casaleggio, Gründervater und „Guru“ der Fünf Sterne, ist im April gestorben. Die okkulte Macht in der Zentrale ist auf seinen Sohn Davide übergegangen, ohne dass dies demokratisch legitimiert wäre. Ähnlich undurchsichtig verlaufen auch die anderen „Blog-Befragungen“. Daran hat man sich zu halten. Bei Zuwiderhandlung – einen solchen Vertrag hat Raggi unterschrieben – sind 150.000 Euro Bußgeld an die Bewegung fällig. Auch muss die künftige Bürgermeisterin sämtliche „bedeutenden Entscheidungen“ vorab einer „Mannschaft“ der Fünf Sterne zur Prüfung vorlegen.

Wem also, so bohren die Konkurrenten, ist eine Bürgermeisterin Raggi eher verpflichtet? Den römischen Bürgern? Oder einer machtgierigen Privatfirma in Mailand? Wenn „Anzeigen“ gegen eine unbotmäßige Bürgermeisterin an Grillos Blog gerichtet werden müssen – wie es dessen Reglement vorsieht, – wo bleibt dann die demokratische Auseinandersetzung?

35,25 Prozent hat Raggi in der ersten Runde vor zwei Wochen erreicht. Der „Renzianer“ Roberto Giachetti blieb um mehr als zehn Punkte dahinter. Der 55-Jährige, ein Mitglied des Establishments, blieb farblos. Er bezahlt für die Misswirtschaft, für die Verwicklung der Sozialdemokraten in die Umtriebe der „Mafia Capitale“, für die Abneigung gegen seinen Parteichef.

Renzi ließ sich nicht im römischen Wahlkampf blicken. Er weiß, dass seine große Schlacht auf nationaler Ebene gegen die „Grillini“ noch bevorsteht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.06.2016)

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